Player FM - Internet Radio Done Right
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SWR2 Kultur Aktuell
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Welche Bücher sind neu, was läuft im Kino, wie sieht die Festivalsaison aus und worüber diskutieren Kulturwelt und Kulturpolitik? Im Podcast SWR Kultur Aktuell widmen wir uns täglich den Nachrichten, mit Hintergründen, Gesprächen, Kritiken und Tipps. Damit Sie nichts Wichtiges mehr verpassen! Zur Sendung in der ARD Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/sendung/swr2-kultur-aktuell/12779998/
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×Gibt es etwas, was das interessierte Publikum noch nicht weiß über Flucht und Exil während des Nazi-Regimes? Diese Frage drängt sich auf, wenn man das neue Buch von Wolfgang Benz mit dem Titel „Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933 - 1945“ zur Hand nimmt. Immerhin ist das ein bereits häufig und in vielen Facetten behandeltes Thema. Schlägt man das Buch aber auf, dann zeigt sich schnell, dass die Fälle der berühmten Emigranten, die im allgemeinen Bewusstsein präsent sind, nur einen Bruchteil des großen Exildramas ausmachen. Ein Gesamtbild der Vertreibung Natürlich kommen bei Wolfgang Benz auch die Prominenten wie Einstein, Thomas Mann oder Anna Seghers vor, aber er hat sich vorgenommen, ein vielschichtiges Gesamtbild der politischen und rassistischen Verfolgung zu bieten. In seinem Vorwort erklärt er: Aufgabe des Historikers ist es, mit dem Blick auf individuelle Schicksale das Drama der Austreibung, der erzwungenen Flucht, der Ausbürgerung und Ausplünderung, schließlich das Ankommen im fremden Land als Ganzes anschaulich und verständlich zu machen. Quelle: Wolfgang Benz – Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933 -1945 Die verschiedenen Stationen der Emigration Die erste Emigrationswelle gleich zu Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 war vor allem politisch und kulturell motiviert. Die Bücherverbrennung hatte barbarisch und unmissverständlich den neuen Kurs der sogenannten „nationalen Revolution“ definiert. Trotz ihres gemeinsamen Schicksals waren die Nazigegner im Exil jedoch nicht in der Lage, ein Bündnis des geistigen Widerstands zu bilden. Stattdessen verstrickten sich stalinhörige Kommunisten, Sozialdemokraten und Bürgerliche in unversöhnliche Kontroversen, wobei der spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht zu den zahlreichen ideologischen Scharfmachern gehörte. Aber die bewegendsten Kapitel des Exils betreffen die rassistisch verfolgte jüdische Bevölkerung. Etwa der Hälfte, geschätzt 278.500, gelang es, Deutschland zu verlassen. Wolfgang Benz beschreibt deren Vertreibung und Flucht in allen Aspekten und Einzelheiten: die Bürokratie der Diskriminierung, die Hoffnungen auf einen glimpflichen Verlauf, die endgültige Entmutigung durch die Reichspogromnacht, die zahllosen Schikanen, die Hürden bei der Beschaffung von Pässen und Visa. Mehr von Wolfgang Benz Vertrieben in alle Welt Neben den bekannten Zielorten wie Frankreich, England, New York oder Los Angeles gab es viele andere wie Bolivien oder Shanghai, wo das Gefühl von Fremdheit und Entwurzelung noch größer war. Besonders tragisch wirkt das häufige Scheitern der Versuche, eine neue Heimat in Palästina zu finden, weil die britische Mandatsmacht die jüdische Zuwanderung strikt einschränkte. So verwandelte sich etwa die Flucht des Münchner Verlegers Dr. Alfred Heller und seiner Frau in eine jahrelange Odyssee. Am 9. Dezember transportiert sie ein britisches Schiff von Haifa auf die Insel Mauritius. Dort werden die Menschen in einem britischen Polizeigefängnis interniert. Die Bedingungen sind fürchterlich: unzureichende Ernährung, ein kaum erträgliches Klima, Malariaanfälle, die Trennung nach Geschlechtern. Quelle: Wolfgang Benz – Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933 -1945 Wolfgang Benz bietet in seiner Monografie eine umfassende Zusammenschau der Exil-Thematik. Und trotz der sachlich-wissenschaftlichen Darstellung bleibt die erschütternde Dramatik der Geschehnisse durchweg spürbar.…
Weimer war kein Favorit Aus Zimmermanns Sicht kommt es darauf an, dass Weimer als verantwortlicher Minister im Bundeskanzleramt die politische Kraft hat, für den Kulturbereich die politischen Mittel – vor allem Subventions- und Fördergelder – zu organisieren. Weimer habe nicht zu den Favoriten für das Amt gehört. Zimmermann erinnert im Gespräch an Michael Naumann , den ersten Kulturstaatsminister einer Bundesregierung, der – wie Weimer – Publizist und Verleger war: „Der war nicht so erfolgreich und hat nach zwei Jahren aufgehört. Ich hoffe, dass der neue Kulturstaatsminister weiß, auf was er sich eingelassen hat.“ „Der Minister muss für die Kultur kämpfen“ Die Reaktion der Kultur-Institutionen auf Weimers Nominierung fasst Zimmermann als „überrascht und verunsichert“ zusammen. Die Szene wisse, dass die Politik über finanzielle Sparmaßnahmen im Kulturbereich nachdenke: „Deshalb kommt es darauf an, dass eine Person da ist, die hinter uns steht und für den Kulturbereich kämpfen wird.“ Ein unbeschriebenes Blatt für die Kultur Der Kontrast zu Weimers Vorgängerin Claudia Roth (Grüne) ist für Zimmermann augenfällig. Der angehende Bundeskanzler Merz habe sich aber wohl was dabei gedacht: „Das ist ein Signal – und das verstehen wir auch.“ Man müsse jetzt sehen, wie man eine Zusammenarbeit zustande bekomme. Auf seiner persönlichen Skala zwischen eins und zehn gibt Zimmermann der Auswahl von Weimer eine fünf: „Weil wir Herrn Weimer nicht kennen, er ist ein unbeschriebenes Blatt im Kulturbereich und wir müssen erkunden, was das bedeutet.“…
Thomas Schadt – Immer „on the road“ Der Fotograf und Filmer Thomas Schadt ist ein unruhiger Geist; einer, der gar nicht anders kann als umherzuziehen, und im Betrachten der Welt darüber zu reflektieren, was er sieht. In den frühen 80er-Jahren hat er sein Heimatland erkundet, unter dem Titel: „Deutschland immer und überall“. “Ich bin neugierig auf dieses Land, in dem ich lebe und das mir als Heimat dennoch fremd erscheint. Jetzt will ich es auf meine Weise erobern, mich treiben lassen, mit meiner Kamera durch die Gegend streifen und das festhalten, was mir auf dieser Reise begegnen wird …“ Quelle: Thomas Schadt in der Dokumentation „Deutschland immer und überall“ Eindringliche Szenen des deutschen Alltags der 80er-Jahre Unterwegs findet Thomas Schadt eindringliche Szenen vom Alltag, von Menschen, Häusern und Landschaften. Wir sehen Volksfeste und Malocher, Schallschutzwände und Trachtenträger, Teenies, die cool sein wollen und einen verlegen grinsenden Polizisten mit schwerer Maschinenpistole. Silhouette des Fotografen auf Fotoreise durch die USA Mit dem gleichen visuellen Radar ist Schadt wenig später auf Achse in den USA. Das Plakat-Motiv seiner Ausstellung „Zwischenheimat“ zeigt ihn auf irgendeiner Straße, die Silhouette des Fotografen spiegelt sich in einer Scheibe, im Hintergrund anonyme Hochhäuser; und dort, wo Augen, Kopf und Kamera sein müssten, ist alles ausradiert von gleißend hellen Reflexen. „Es ist der Blick in den Bahnhof von Salt Lake City und eine Spiegelung von Licht auf dem Boden des Bahnhofs in meinem Kopf. Keine Ahnung. So dreimal um die Ecke gedacht“, wundert sich Thomas Schadt noch heute. Auf den Spuren des legendären Fotobuchs „The Americans“ Der Fussboden eines amerikanischen Bahnhofs als Ort der Erleuchtung, und zwar einer so heftigen, dass das Licht gleichsam blind macht – das hätte auch Jack Kerouac gefallen, jenem On-the-road-Beatnik, der das Vorwort zu Robert Franks legendärem Fotobuch „The Americans“ geschrieben hat – einer radikal unglamourösen USA-Odyssee, die mal die Bibel aller vogelwilden Fotografen war. Auch die des jungen Thomas Schadt, der monatelang die Orte aufsuchte, wo Robert Frank fotografiert hatte. Zum Beispiel die morbide Bergarbeiter-Stadt Butte, Montana mit ihrem Pit, der monströsen Tagebau-Grube mitten im Stadtgebiet: Thomas Schadt: „Und dieser Pit, dieser letzte große Pit hat die Stadt dann praktisch zur Hälfte wieder aufgefressen. Das ist auch dieses Sinnbild des American Dream: Es geht nach oben, und irgendwann reißt die Kurve, und dann stürzt alles ab, und das ist schon ein starkes Sinnbild, auch für Amerika insgesamt.“ Halt suchen am Fotoapparat Es ist ein existentielles Driften, das Thomas Schadt wohl immer gespürt hat, egal wo er war, und welche Posten er innehatte. Kein Direktorentitel der international erfolgreichen Filmakademie Baden-Württemberg, keine Oscar-Parade seiner Amtszeit kann daran etwas ändern. Das zeigt auch Schadts Bilder-Tagebuch seiner Ludwigsburger Jahre: „Es hat ja auch etwas mit Einsamkeit und Unsicherheit und Ängsten zu tun. Und an irgendetwas wollte ich mich festhalten. Und an Fotoapparaten, das habe ich gelernt, kann man sich eigentlich ganz gut festhalten“, sagt Schadt. „Was ist überhaupt Heimat? Die Familie! Und die verzwickte Frage, wo denn nach einem langen Berufsleben voller Länder, Bilder, Menschen und Begegnungen nun letztendlich die Heimat sei, er beantwortet mit einer ganz schlichten und dennoch sehr tiefen Erfahrung: „Was ist überhaupt Heimat? Am Ende ist es in meinem Leben dann doch die Familie. Da ist die Liebe. Und da ist die Heimat.“…
„Du kannst nichts dafür!“ Schlage die Trommel und fürchte dich nicht? Im Staatstheater Mainz stehen rechts und links zwei Schlagzeugerinnen vor der Bühne und treten in einen Dialog. Genau im Rhythmus mit den Worten, die wie von Geisterhand hinten auf die Bühnenwand geworfen werden: Fragen und Antworten zwischen Psychotherapeut und Patientin. Darunter immer wieder der Satz „Du kannst nichts dafür!“. Eigentlich der Schlüsselsatz in der Kammeroper „4.48 Psychose“ von Philip Venables. Denn für eine Depression kann wirklich niemand. Klinikaufenthalt, Medikation und Elektroschock-Therapie Eine Krankheit, unter der auch die Britin Sarah Kane gelitten hat. In ihrem Theaterstück von 1998, das der Oper zugrunde liegt, beschreibt sie jene Momente, in denen die Psychopharmaka nicht mehr wirken und der Kopf klar wird – nämlich jede Nacht um 4 Uhr 48. Sarah Kanes Texte werden immer wieder eingeflochten in Philip Venables Kammeroper „4.48 Psychose“: Mal hochpoetisch, mal drastisch, mal provokant aggressiv beschreiben sie die psychotischen Zustände einer Frau und den Krankheitsverlauf der Depression, samt Klinikaufenthalt, Medikation und Elektroschock-Therapie. Packende Musiksprache Philip Venables findet für die psychotischen Zustände eine packende Musiksprache, die er hier auf sechs Gesangs-Solistinnen verteilt. Und die sie und das Philharmonische Staatsorchester Mainz – um einen Akkordeonspieler und elektronische Verfremdungseffekte ergänzt – unter Dirigent Samuel Hogarth hervorragend umsetzen. Mal technoartig-aggressiv, mal lethargisch, mal Popsong – mal Barock-Zitate von Bach und Purcel. Verena Tönjes changiert gekonnt zwischen Pop- und Operngesang, begleitet sich dabei selbst auf einem kleinen Keyboard: Einer von vielen berührenden Momenten in Rahel Thiels großartig stimmiger Inszenierung. Käfig der Närrinnen Glaswände schließen die sechs Frauen auf der Mainzer Bühne ein. Alle tragen hier die gleiche Blondhaarperücke und blutroten Schlabberpuli zu roten Liebestöter-Socken. Ein Käfig der Närrinnen, die sich hier durch entsprechendes Licht auch mal in den Wänden spiegeln - verdoppeln, verdreifachen. Und wer schon im Glashaus sitzt, wirft gern auch mal mit Steinen - oder steinharten Worten. Eine Krankheit, die schwer zu begreifen ist Irgendwann fällt den Frauen der Himmel auf den Kopf – wenn ein Gestänge samt Scheinwerfern vom Bühnenhimmel herunterfährt, sie in ihrem Glashaus zu zerdrücken droht. Doch es gibt auch die friedvollen Momente, wenn sie sich gegenseitig halten oder umarmen. Schöne Bilder für Selbst- Mit -Leid. Der rote Striemen an ihren Hälsen erinnert an den Selbstmord von Sarah Kane. 1999 hat sich die britische Dramatikerin in ihrer psychiatrischen Klinik schließlich erhängt, gerade mal 28 Jahre jung. Biografisch aber will Philip Venables in seiner Oper „4.48 Psychose“ gar nicht sein. Eher eintauchen in eine Krankheit, die so schwer zu begreifen ist: Das ist zwar nicht unbedingt schön anzusehen, aber umso wichtiger hin zusehen. Und hinzu hören .…
Vor der alten Haustüre eine beachtliche Menschentraube, die Atmosphäre angespannt, erwartungsfroh: Am Sonntag, 27. April, öffnete das „Haus Kiefer“, wie das Elternhaus von Anselm Kiefer ab jetzt heißt, zum ersten Mal seine Türen für die Öffentlichkeit. Zeitreise in Kiefers Kindheit 2019 hat Anselm Kiefer es zurückgekauft und aufwendig restaurieren lassen. In den schlicht gehaltenen Räumen, die eng mit Kiefers Kindheitserinnerungen verbunden sind, wird die enge Verzahnung von Biografie, Erinnerung und Kunst besonders spürbar. Ich kam immer wieder vorbei an dem Haus, wenn ich zum Rhein gefahren bin, und dachte, es hat sich verändert. Ich wollte es so haben, wie es war, also habe ich entschieden, es zurückzubauen. Quelle: Anselm Kiefer über sein Elternhaus Präzise Erinnerungen an die 1950er-Jahre Tatsächlich begibt man sich im inneren des Hauses auf eine Zeitreise in Kiefers Kindheit. Der Holzdiehlenboden knarzt, die Wände sind schlicht hell verputzt, selbst die Fenster gleichen dem historischen Original. 1875 als Schulhaus erbaut, wohnte Kiefer als Kind von 1951 bis 1957 mit seiner Familie im oberen Stock – eine sehr prägende Zeit für den nunmehr international gefeierten Künstler. Der Künstler erinnert sich noch sehr genau an diese Zeit: „Ich musste immer in den Keller gehen, um Sauerkraut zu holen. […] und auch Kohlen. Und dann, ganz selten, aber einmal, wenn ich mich noch ganz bestimmt erinnere, war der Keller voll Wasser. Weil da war der Rhein übergetreten, wegen der Schneeschmelze, und dann stieg der Grundwasserspiegel […]. Kompromisslose Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich Das Thema Grenzen und vor allem, was sie mit Menschen machen, beschäftigt Kiefer noch heute. Kaum ein anderer Künstler hat sich so kompromisslos mit den Verbrechen des Dritten Reichs, dem Mythos der Nation und dem kulturellen Gedächtnis Deutschlands auseinandergesetzt. Besonders zu Beginn seiner Karriere brachte ihm das viel Kritik ein. Schlüsselwerke der 70er- und 80er-Jahre Die Eröffnungsausstellung im Haus Kiefer zeigt Werke aus den 1970er- und 1980er-Jahren, als Kiefer in seinen Ateliers in Hornbach und Buchen im Odenwald arbeitete. Zu den Schlüsselwerken gehören Resumptio (1974), Unternehmen „Hagenbewegung“ und Unternehmen „Wintergewitter“ (1975) sowie Dein aschenes Haar, Sulamith (1981). Diese Werke, die bereits in bedeutenden Museen weltweit gezeigt wurden, spiegeln zentrale Themen wie Landschaft, Geschichte, Mythologie und die Poesie von Paul Celan wider. Ein Künstler kann nicht ohne Erinnerung arbeiten. Alles geht durch die Erinnerung. Wenn wir uns erinnern, treten wir gleichzeitig in die Zukunft. Quelle: Anselm Kiefer Die Ausstellung im Haus Kiefer ist mehr als nur eine Werkschau. Sie ist ein lebendiges Zeugnis von Kiefers Auseinandersetzung mit seinen Wurzeln und seiner künstlerischen Weiterentwicklung. Der Raum, in dem er als Kind spielte, wird nun zum Ort, an dem seine frühen Werke in den Kontext seiner Lebensgeschichte gesetzt werden.…
Deutschland sei längst keine Leistungsgesellschaft mehr, sagt Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas im Gespräch mit SWR Kultur am Morgen, sondern eine Erbengesellschaft: „Zwei Familien besitzen mehr Vermögen als die gesamte ärmere Hälfte.“ Ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel werde die Demokratie weiter ausgehöhlt, warnt Linartas und fordert eine Rückkehr zu einer Steuerpolitik, die den Zusammenhalt stärkt. Ein neuer Blick auf Steuern und Staat In ihrem Buch „Unverdiente Ungleichheit“ plädiert sie für einen radikalen Perspektivwechsel: Steuern dürften nicht länger als Last gelten, sondern als Instrument für eine gerechte Gesellschaft. „Wir brauchen ein neues Theaterstück – mit einem starken Staat in der Hauptrolle", sagt sie und bleibt optimistisch: Die Geschichte zeige, dass Wandel immer möglich sei.…
Einen Roman von Martin Suter zu besprechen, ist eine Herausforderung. Nicht weil die Sprache so schwer zu fassen wäre. Und nicht weil Inhalt, Plot und Figurenkonstellation zu kompliziert wären, um sie angemessen darstellen zu können. Ganz im Gegenteil. Suter verzichtet weitgehend auf ästhetische Wagnisse. Der Stil des Autors lebt von der Verknappung, von einfachen Sätzen, von fernsehtauglicher Dialogprosa, man könnte auch sagen: dem bewussten Verzicht ausgestellter Literarizität. Alles ist Inhalt Die Romane Suters sind vor allem eines: gut gebaute Geschichten mit Themen, die gerade im Schwange sind. Aber weil in diesen Büchern die wendungsreiche Entfaltung des Stoffs im Mittelpunkt steht, sollte man auch möglichst wenig darüber verraten. Ansonsten könnte man sich die Lektüre sparen. Die Figuren kommen zumeist aus dem gehobenen Bürgertum; es geht um Geld, um guten bzw. schlechten Geschmack, um Identitätskrisen. Natürlich dreht sich auch alles um die Liebe, um unerfüllte Sehnsüchte und die Erfahrung, dass sich Menschen gerne imaginäre Masken aufsetzen, um sich und andere zu täuschen. Der trügerische Schein ist ein Zentralthema in Suters Werk, so auch im neuen Roman „Wut und Liebe“: Das glaube ich nicht. Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe So lautet dann auch der erste Satz des Buchs, den Noah ausspricht und den er später noch einmal wiederholt, damit allen klar ist, dass es sich um eine Art Leitmotiv in dem Text handelt. Der mittellose Künstler kann partout nicht glauben, dass seine Freundin Camilla mit ihm Schluss machen möchte. Sie liebt ihn zwar noch, aber nicht das Leben, das er ihr bieten kann. Sie wünscht sich einen Alltag ohne finanzielle Sorgen. Doch dafür verkaufen sich Noahs Werke einfach zu schlecht. Was beide gleichermaßen wütend macht. Eine Million für einen Mord Mit dem Gefühl, ein Versager zu sein, geht Noah dann auch in eine Kneipe namens „Blaue Tulpe“. Bevor er sich besaufen kann, lernt er die 65-jährige Betty kennen, die ebenfalls in schlechter Stimmung ist, hat sie doch in mehrfacher Hinsicht mit Herzproblemen zu kämpfen. Vom Kardiologen hat sie gerade erfahren, dass ihr Kammerflimmern nicht mehr zu therapieren sei. Außerdem leidet sie darunter, dass ihr Mann Pat so früh gestorben ist. Er sei von einem ehemaligen Geschäftskollegen in den Tod getrieben worden, behauptet Betty. Am liebsten würde sie Peter Zaugg, den miesen Kerl, ermorden lassen. Wenn Sie jemanden kennen, der das sauber und zuverlässig erledigt, melden Sie sich. Aber es muss ein Profi sein. Es ist mir die Hälfte von dem wert, was mir Pat hinterlassen hat. Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe Eine Million ließe die kränkliche Dame springen, wenn der verhasste Mann, der ihren Gatten drangsaliert habe, vor ihr „abkratzt“. Noah ist alles andere als ein Killer, aber als ordentlicher Schweizer Reservist hat er ein Gewehr im Schrank, und so legt er sich nach ein paar weiteren Rückschlägen auf dem Kunstmarkt doch auf die Lauer. Wie jeden Tag um diese Zeit kundschaftete Noah die Joggingstrecke von Peter Zaugg aus. Der rannte jeden Wochentag um die gleiche Zeit los, aber das Problem war: Er variierte die Strecke. Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe Wütend sind die Liebenden in diesem Roman Nicht nur Noah, sondern auch Camilla ist auf der Jagd. Zwar findet sie für den Übergang einen vermögenden Mann, doch der ist verheiratet und macht auch nur leere Versprechen. Getrieben von wachsender Unzufriedenheit wird Camilla ausgerechnet in der Unternehmensberatung von Peter Zaugg einen Job annehmen. Die Plot Points der Geschichte erfolgen nun in immer kürzeren Abständen. Plötzlich geht es um Scheinfirmen und Schwarzgelder in Übersee. Der Betrug in den Beziehungen spiegelt sich in der unternehmerischen Kriminalität. Dabei zeigen sich die Charaktere auch von anderen Seiten. Bösewichter entpuppen sich bald als treue Seelen, Freundinnen zeigen ihre Manipulationskünste. Wütend sind die Liebenden in diesem Roman, dessen zentrale und etwas pädagogische Botschaft lautet: Gegen Wut hilft Liebe. Quelle: Martin Suter – Wut und Liebe Es gehört zu den schriftstellerischen Fähigkeiten von Martin Suter, aus einem Kalenderspruch eine ausgetüftelte Geschichte zu entwickeln. Amüsant ist zudem, wie in diesem Roman, der durch stilistische Schmucklosigkeit besticht, über Kunst gesprochen wird. Verkäuflich werden Noahs Werke, als er seine Motive in einen rätselhaften Nebel eintaucht. Das ist so absurd wie realitätsnah, und damit eine kleine Stichelei gegen den Kunstbetrieb. Die wichtigen Fragen aber lauten: Gibt es ein Happy End für Noah und Camilla? Was ist mit der Wut der beiden? Und wie lässt sich Bettys abgrundtiefer Hass erklären? Selbstverständlich werden diese Fragen im Roman beantwortet, nur nicht in dieser Rezension. Das wäre dann wirklich ein Spoiler.…
Die Landesausstellung "Uffrur! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg" wird im Kloster Schussenried (Kreis Biberach) eröffnet. Die historische Schau erinnert an die Aufstände vor 500 Jahren, als die Bauern in den Krieg gegen den Adel zogen. Sie forderten die Aufhebung der Leibeigenschaft und kämpften für mehr Rechte.…
Change Managerin Toni am Tiefpunkt Toni ist Change-Managerin und berät weltweit Firmen, die mit tiefgreifenden Veränderungen klarkommen müssen. Chronisch überarbeitet, passieren ihr Fehler, sie verliert ihren Job. Bei ihren Eltern in Berlin hat sie kein richtiges Zimmer mehr und ihre einzige Freundin Bea wirft ihr die Freundschaft vor die Füße. Wer kann einem an einem solchen Tiefpunkt noch helfen? Eine gute Fee vielleicht, als persönliche Change-Managerin? Märchenhafte Wendung gibt der Serie einen ganz eigenen Touch Tatsächlich erscheint Toni eine Frau, die sich als „Ariadne“ vorstellt, ihres Zeichens „Viertelgöttin“. Sie drückt Toni einen Wollschal in die Hand, der ihr den Zugang zu Parallelwelten ermöglichen soll, die ihr zeigen: Wie hätte das eigene Leben laufen können, wenn diese oder jene Entscheidung anders gefallen wäre? Die märchenhafte Wendung kommt überraschend, aber sie gibt der Serie schnell einen ganz eigenen Touch. Maria Schrader schafft es, die Figur der Ariadne mit etwas Augenzwinkern nicht zu gewollt wirken zu lassen. Neue Folge, neue Lebensumstände Und vor allem entführt einen die Serie mit jeder Episode in neue Lebensumstände, die sehr originell erzählt und außergewöhnlich gut produziert sind. Als erstes stürzt Toni zum Beispiel in ein Leben, in dem sie mit ihrer Freundin Bea auf Bali eine Segelschule gegründet hat. Weil sie vom Kopf her noch in ihrer alten Biografie steckt, braucht sie erstmal eine Weile, um das alles zu verstehen. Die eigene Identität verstehen wollen Bald merkt Toni, dass das mit den alternativen Biografien auch nicht ganz so einfach ist. Und so wird ihre Reise durch parallele Leben mehr und mehr zu einem Versuch, die eigene Identität zu verstehen, die Familie oder die große Liebe. Und somit zu einer Feier von Wirrungen und Verirrungen im Streben nach Glück. Als leibliche Tochter einer Japanerin und eines Vaters im diplomatischen Dienst kommt sie dabei ganz schön rum, ist mal Popstar in Asien oder Juristin mit Schnösellebensstil in Berlin. Abgesehen davon, dass die Serie immer wieder unglaublich gut aussieht, versammelt sie auch einen prominent spielfreudigen Cast mit Caroline Peters, Ulrich Noethen und vor allem Malaya Stern Takeda in der Hauptrolle. Gelungene Mischung aus urbaner Comedy und emotionalem Drama Die Idee „Nochmal leben, aber anders“, gab es natürlich auch vorher schon: Ob bei „Lola rennt“, „Und täglich grüßt das Murmeltier“ oder in sehr ähnlicher Anlage bei Matt Haigs Bestseller „Die Mitternachtsbibliothek“. Und die verschiedenen Realitätsebenen, zwischen denen sich die Helden bewegen können, kennt man vielleicht aus dem Action-Kino als etwas schwerblütiges „Multiversum“. Dagegen wirkt „Parallel Me“ sehr frisch und zugänglich. Autorin Jana Burbach hat schon bei der Serie „Bad Banks“ gezeigt, dass sie komplexe Sachverhalte in eine gut fassbare Story packen kann. In „Parallel Me“ gelingt ihr ein ziemlich leichtfüßiger Grenzgang aus urbaner Comedy und emotionalem Drama. Trailer „Parallel Me“ von Jana Burbach, ab 26.4. auf Paramount +…
Sechs neue Texte treten dieses Wochenende im Wettbewerb gegeneinander an – darunter ein Büro-Dystopie-Stück mit Klimakollaps vor der Tür. Die Themen reichen von Dystopie bis Depression. Besonders bewegt hat Popig ein Stück über den Klinikalltag: „Gerade dadurch, dass es fast dokumentarisch ist, entwickelt es eine ganz berührende Poesie.“…
Sie ist berühmt für ihre beeindruckenden Skulpturen aus weißen, gerissenen Papierbögen. Die Mainzer Bildhauerin Angela Glajcar hängt die einzelnen Blätter dicht hintereinander, sodass die gerissenen Räume nochmal eine eigene Form ergeben. In der Kaiserlauterer Pfalzgalerie ist ab Mitte Mai eine neue Installation aus ihrem Atelier zu sehen – ein Geschenk zum 150. Geburtstag des Museums. In einem Raum mit Lichtturm zieht die Skulptur den Blick sofort in die Höhe und unterstreicht je nach Lichteinfall die Farbigkeit von Weiß.…
Seit genau einem Monat ist die neue Single veröffentlicht: „When you know you know“ heißt der Song der Singer-Songwriterin Caro Trischler, in wenigen Tagen folgt das Album, darauf zehn eigene Songs und zwei Cover, dann geht auf Tour. In SWR Kultur spricht Caro Trischler über ihre bewegten Zeiten.
Es gibt unzählige Begegnungen in unserem Leben. Manche werden zu Freundschaften, manche zu einer Liebe, andere vergessen wir schnell wieder. Und dann gibt es diese ganz besonderen Begegnungen mit Menschen, die bei uns einen Schalter umlegen, die unser Leben in eine andere Richtung lenken. Von diesen handelt der Podcast.…
Eines der gleichermaßen bekannten wie kurzen Gedichte des 20. Jahrhunderts stammt von William Carlos Williams. „The Red Wheelbarrow“, deutsch „Die Rote Schubkarre“ dauert vom Autor selbst gelesen gerade einmal siebzehn Sekunden. Hier eine deutsche Übersetzung: Die rote Schubkarre Es hängt so viel von / einer roten, mit Regenwasser glasierten Schubkarre / neben den weißen Hühnern ab. Quelle: William Carlos Williams – Die rote Schubkarre Visuelle Knalleffekte Visuell signalhaft, ähnlich wirkend wie ein warnendes Verkehrszeichen, definiert dieses Gedicht einen großen Interpretationsspielraum. Solche visuellen Knalleffekte setzt auch Ines Berwing ein. Gleich die erste der insgesamt acht Abteilungen des konsequent in Kleinschreibung verfassten Bandes „zertanzte schuhe“ heißt „der rote ballon“. Das gleichnamige Gedicht im Band klingt so: der rote ballon / wenn ich die tür öffne, kommt / ein roter ballon. ich komme immer / zu spät. der frühling ist meine / schuld, verdammt, er rollt / körperbetont von komma zu komma her. / wenn ich die tür öffne, kommt / fahrt in den honig oder ein roher / mann im ballon, der mich fragt / möchtest du eine singlefahrt / ich sage ihm, fahr du ruhig schwarz / und schüttle, was frühling heißt / vom balkon und schließe die tür. Quelle: Ines Berwing – zertanzte schuhe Vom Konkreten ins Verdichtete Berwings Gedichte setzen Bildelemente konkret ein, werden dann aber in ihrer Deutung extrem vertrackt. Sie springen zwischen der Perspektive des lyrischen Subjekts, zwischen Sichtbarem und Introspektion, sie setzen die Redensart „schwarz fahren“ gegen die sichtbare Qualität des roten Ballons. Damit rückt die Frage näher: Ist der Ballon in diesem Gedicht tatsächlich rot? Oder sieht das Sprecher-Ich vielleicht nur rot, im Sinne der Redensart „Rotsehen“ als Pendant zu der Redensart des „Schwarzfahrens“? Öffnen und Schließen der Tür sind als Bilder eindeutig. Dagegen das Schuldsein am Frühling, der am Ende vom Balkon geschüttelt wird, sein körperbetontes Rollen von Komma zu Komma geben produktive Rätsel auf. Berwings Verse vollführen häufig die Bewegung vom Konkreten ins Verrätselte, Traumhafte, im wahrsten Sinn des Wortes Verdichtete: noch eine übung im bewundern von tieren / ratten beherrschen den wohnblock nachts / und um die lilie in meinem zimmer / wächst welkend das glas, sprach aber niemals / über die ratten und meine lage von einst / hielt den fuß bereit für ein hüpfendes / über den müll hinwegspringendes pferdchen. Quelle: Ines Berwing – zertanzte schuhe Schaurig ist dieses Gedicht, mit seinem bedrohlichen, abweisenden und unwirklichen Szenario, dessen Morbidität mit einer als Totenblume geltenden Lilie noch unterstrichen wird. Am Ende wendet es sich in der Verkleinerungsform des Pferds zu einem Pferdchen, das über den Müll hinwegspringt, ins Hellere. Kalkulierte Zeilensprünge Ines Berwings Gedichte folgen den Logiken des Traums. Sie nehmen eine Tradition auf, in der Montage und Collage bestimmend sind. Man kennt diese Techniken aus dem Surrealismus, aus Filmen von Luis Buñuel, aus Herta Müllers Dichtung und jüngst auch aus den Gedichten von Yevgeniy Breyger, auf dessen Zyklus „Königreich“ aus dem Band „gestohlene luft“ die Autorin verweist. Berwing wagt einiges mit „zertanzte schuhe“, vieles gelingt, seien es die Gedichte über ersehnte Mutterschaft, seien es die Gedichte, in denen durch kalkulierte Zeilensprünge sich die ohnehin schon komplexen Bedeutungsschichten noch deutlicher überlagern. Die Elemente, die sie aus den Grimmschen Märchen nimmt, von den „zertanzten schuhen“ bis zur zornigen Fee aus „Dornröschen“ werden nicht selten auf ihre Muster hin gelesen. Ines Berwings Gedichte fordern etwas von der Konzentration, die es gebraucht haben mag, sie zu schreiben und zu arrangieren – und spiegeln diese Konzentration ihren Lesern zurück.…
Er ist von allen Hängen Stuttgarts zu sehen: der Campanile der Pauluskirche, der höchste Glockenturm der Stadt. Verblüffend istauch der großzügige Innenraum der Kirche, der 800 Besucherinnen und Besuchern Platz bietet. Und damit ist er nach der Liederhalle der zweitgrößte Saal im Stuttgarter Westen. Trotz dieser Ausmaße schmiegt sich die Kirche unauffällig an die dicht bebaute Umgebung an. Ein schlichtes, zugleich selbstbewusstes Bauwerk, das der Architekt Heinz Rall entworfen hat. Fotografin Rose Hajdu hat es in all seinen originellen, einzigartigen Details erkundet. Das Besondere an der Pauluskirche sei das Licht, erklärt Hajdu: „Die Pauluskirche hat ja dieses lange, bunte Fensterband von (Maler Christian) Oehler. Und es gibt am Vormittag, wenn die Sonne reinschaut, wunderschöne Lichtspiele auf den Bänken, auf dem Boden. So wie die Sonne wandert, wandern auch die Lichtspiele.“ Die „Normalste“ unter den Kirchen von Heinz Rall Tatsächlich entfaltet sich an diesem Vormittag ein buntes Lichtspektakel auf dem Kirchenboden. Insgesamt elf Kirchen des Architekten Heinz Rall hat Rose Hajdu intensiv studiert und für ihre Ausstellung und einen Bildband fotografiert. Die Pauluskirche sei die „Normalste“ meint sie. Der Architekt habe viel experimentiert, keine Kirche gleiche der anderen. Echte Hingucker sind seine kreativen Zeltdach-Entwürfe, die sich mal bis auf den Boden ziehen oder, wie bei der Pauluskirche, gefaltet sind. „Die Pauluskirche hat eine ganz mächtige Decke, wo man einerseits denkt, sie würde einem gleich auf den Kopf fallen, weil sie so aus Beton und schwer ist“, erklärt Hajdu, „und gleichzeitig dadurch, dass so gefaltet ist, sieht sie unheimlich leicht aus. Als wäre sie aus Papier geknickt und gefaltet.“ Von unten betrachtet, gleicht die Decke einem überdimensionalen Origami-Schmetterling, den Eindruck von Schwerelosigkeit verstärken zusätzlich die ungewöhnlich zierlichen Stützpfeiler. Heinz Ralls Architektur: Schlicht, aber raffiniert Wolfram Steinmayer hat in den 1960er-Jahren als Studienpraktikant im Architekturbüro Rall gelernt und gearbeitet. Jetzt steht er vor der imposanten Altarwand und ist noch immer begeistert: „Das ist ein Gönninger Tuff, also ein Naturstein. Da hatte ich das Glück, zusammen mit einem ausgebildeten Maurer die Altarwand hochzuziehen. Da bin ich nach vielen Jahrzehnten immer noch stolz drauf.“ Schlicht, aber dennoch raffiniert, stets mit einer besonderen Note versehen, präsentiert sich die Architektur Heinz Ralls. So bestehen die Seitenwände der Pauluskirche aus simplen Lochziegeln, die jedoch nicht brav Reihe um Reihe aufeinandergemauert wurden: Sie drehen sich in alle Richtungen, stehen quer oder senkrecht, sind schmal oder mit Löchern versehen. Ralls Handschrift beschreibt Wolfram Steinmayer so: „Er hat zu mir gesagt: Du kannst aus einer guten Architektur eine schlechte machen, indem Du ein Sammelsurium an Materialien überall einbaust. Heinz Rall war unglaublich darauf bedacht, wenig unterschiedliche Materialien zu verwenden und diese Materialien einfach ehrlich zu zeigen.“ „Paulus hat Zukunft“ engagiert sich für den Erhalt Wolfram Steinmayer engagiert sich wie Julia Kleinarth im Komitee „Paulus hat Zukunft“ für den Fortbestand der Kirche. Beide kommen aus dem Quartier, beide verbindet eine lange, innige Geschichte mit der Kirche, die an den Gottesdiensten gut besucht und vor allem bei Konzerten immer voll sei. Dennoch: die Zukunft ist ungewiss. Die evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart hat erst einen Abriss erwogen, dann aber doch noch einmal eine dringend notwendige Sanierung der Außenpfeiler finanziert. Dadurch gibt es jetzt noch eine kleine Atempause, aber keine Entwarnung: „Momentan spricht man nicht mehr von Abriss“, so Julia Kleinarth. „Aber es ist tatsächlich so, dass diese Kirche mit Beschluss auf einer Liste der Gesamtkirche gelandet ist und dort als verzichtbar steht.“ Gemeinschaftlich und gesellschaftlich vielfältig nutzbar Ein Konzept für die Zukunft gebe es noch nicht. Genau dafür aber streitet das Paulus-Komitee und macht schon heute deutlich, dass die Kirche für das Viertel eine Riesenchance bietet. „Deswegen fordert das Komitee, dass es einen breit aufgestellten Beteiligungsprozess geben muss an diesem Ort“, sagt Julia Kleinarth. „Weil dieser Ort in seiner baulichen Größe ein wichtiger, gemeinschaftlicher und gesellschaftlich vielfältig nutzbarer Ort ist. Heute und in Zukunft, für Kinder, für Familien, für Musiker, für sonstige Kultur und für Kinderbetreuung. Julia Kleinarth ist sich sicher: „Da ist so viel möglich, dazu braucht es aber ein Ausprobieren.“…
Eine nackte Frau in einem weißen Zimmer. An der linken Wand steht in großen Buchstaben „Angst“, auf der rechten „Zweifel“. Immer heftiger schlägt die Frau mit den flachen Händen auf die eine, dann auf die andere Wand. Zum Schluss wirft sie sich mit voller Wucht und ihrem ganzen Körper gegen die Wände. Die Künstlerin Annegret Soltau kann sich noch gut daran erinnern, wie sie 1980 dieses Video drehte. Sie wollte damit ihre widerstreitenden Gefühle als werdende Mutter deutlich machen. Die Reaktionen waren heftig – auch von Frauen. Dabei wollte Annegret Soltau immer auch eine Stimme für andere Frauen sein. Dass sie dabei stellvertretend ihren eigenen Körper benutzt, hat auch ganz praktische Gründe. Annegret Soltau mutet sich und den Betrachtenden viel zu Tatsächlich mutet Annegret Soltau bei ihren Performances ihrem Körper viel zu. Und bisweilen auch den Betrachtenden. Sie zeigt ihren Körper ungeschminkt, pur und verletzlich – wie in dem Video, in dem eine Sense ihrem Babybauch bedrohlich nahe kommt. Manchmal zeigt sich Annegret Soltau auch tatsächlich verletzt – wie zum Beispiel in den verfremdeten Fotoarbeiten, in denen die Künstlerin ihre Vagina ablichtete, die nach der Geburt ihres Kindes mit groben Nadelstichen „zusammengeflickt“ wurde. Es gibt eine ganze Werkgruppe, die Annegret Soltau „Vernähungen“ nennt. Dabei näht sie Versatzstücke aus verschiedenen Fotos mit dickem, schwarzen Faden übereinander. Künstlerin aus Alternativlosigkeit Soltau verbindet mit dieser Arbeitsweise Erinnerungen an ihre Zeit als Arzthelferin bei einem Unfallarzt im Hamburger Hafen. Sie hatte als junge Frau von zu Hause keine finanzielle Unterstützung und musste früh auf eigenen Füßen stehen. Woher sie den Mut nahm, sich für ein Studium an der Kunstakademie Hamburg zu bewerben und dann als freischaffende Künstlerin zu arbeiten, kann sich Annegret Soltau heute selbst nicht recht erklären. Aber es gab für sie keine Alternative, sagt sie. Auch nicht für ihre radikale Arbeitsweise mit dem eigenen Körper zu feministischen Themen. Frauen in der Kunstszene sind immer noch Opfer von Sexismus Auch wenn sich die Situation für Künstlerinnen in Museen und Kunstakademien in den letzten 50 Jahren deutlich verbessert habe, seien Frauen in der Kunstszene immer noch unterrepräsentiert und auch immer wieder Opfer von Sexismus, sagt Annegret Soltau. Das mache sie immer noch wütend, aber frustrieren lasse sie sich nicht. Im Gegenteil: Es spornt Annegret Soltau dazu an, weiterzumachen. Dass ihre Arbeiten jetzt von großen Museen quasi „wiederentdeckt“ werden, ist eine späte, überfällige Würdigung eines herausragenden, sehr eigenständigen und mutigen, künstlerischen Werks.…
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Ein rassistischer Anschlag mit neun Toten – doch jahrelang sprach niemand über das Motiv. Mit dem Stück „Offene Wunde“ bringt Regisseurin Christine Umpfenbach gemeinsam mit Autorin Tunay Önder die Stimmen der Angehörigen auf die Bühne. Die Autorinnen sprachen mit den Familien von sieben Opfern. Umpfenbach erzählt in SWR Kultur am Morgen: „Viele hatten das Gefühl, zum ersten Mal die ganze Geschichte erzählen zu dürfen.“ Am 24. April 2025 feiert das Stück Premiere am Volkstheater München. Eine Bühne für diejenigen, die fehlen „Offene Wunde“ gebe den Angehörigen Raum, so Umpefenbach. Es erinnert an diejenigen, die fehlen – und daran, wie Erinnerung wach bleiben muss. Ihr dokumentarisches Stück macht zudem deutlich, so Umpfenbach: „Es geht nicht nur um die Tat. Es geht um das Umfeld, das sie möglich gemacht hat.“ Die Autorin möchte aufzeigen: Die Täter kommen nicht aus dem Nichts. Ihre Gedanken speisen sich aus dem, was Gesellschaft und Politik zulassen.…
Die Dokumentation ist eine Anerkennung an die Pionierinnen des Frauenfußballs. Es hat lange gedauert, bis den Frauen in Deutschland die Freiheit, überhaupt Fußball zu spielen, zugestanden wurde. Einige der Frauen, die diesen Weg entscheidend geprägt haben, hat Torsten Körner in seinem mitreißenden Film porträtiert.…
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Die große Herausforderung und deren Bewältigung durch Humor finden in seinem autofiktionalen Roman mit dem Untertitel „Meine Mutter, ihr langes Leben und ich“ zusammen. „Lustige und schräge Situationen“ - und viel Mühe „Ich wollte stärker sein als das, was da auf mich zukommt“, sagt Norbert Kron im Gespräch mit SWR Kultur. „Ich wollte mich nicht verbittern lassen.“ Auf der anderen Seite habe es immer wieder „diese lustigen und schrägen Situationen“ gegeben, die es ihm leichter gemacht hätten. So intim lässt sich autobiografisch nicht schreiben Unter dem Eindruck, wie viele Menschen in der häuslichen Pflege solche Erfahrungen machten und wie wichtig der Austausch darüber sei, habe er sich entschlossen, seine Erlebnisse zu erzählen. „Natürlich“, so Norbert Kron, „in einer fiktionalen Form, denn so intim kann man wirklich in einer autobiographischen Form nicht schreiben“. „Feurigkeit“ in den Scharmützeln des Alltags Aus seinem Buch wird so auch ein Porträt seiner Mutter, die als Mädchen nach dem Krieg aus dem Sudetenland fliehen musste und in Bayern als „Paria“ empfangen worden sei. In ihren „Scharmützeln“ während der Pflegejahre sei immer wieder die „Feurigkeit“ aufgeblitzt, die sie besessen habe. Aber auch der Schmerz als „Triebkraft“ ihrer Erlebnisse, erinnert sich Norbert Kron. Oft habe sie sich nicht helfen lassen wollen. „Vielleicht war es nicht genug“ Dass er seiner Mutter das Buch kurz vor ihrem Tod noch habe zeigen können, tröste ihn, auch das gemeinsame Foto zu diesem Anlass. „Manche sagen, es war zu viel“, bilanziert Norbert Kron die letzten Lebensjahre seiner Mutter. „Man selber hat trotzdem immer das Gefühl, vielleicht war es nicht genug.“…
Lediglich drei oder vier Stücke habe Shakespeare geschrieben und sie in unterschiedlichen Registern wiederholt und variiert – davon war der große Theatertheoretiker Jan Kott überzeugt. Sein bis heute für Literaturwissenschaftler und Regisseure gleichermaßen relevantes Werk „Shakespeare heute“ hat auch die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen verinnerlicht und auf die Idee gebracht, sich das Oeuvre des englischen Dramatikers als Setzkasten vorzustellen, mit Figuren, Ästhetiken und Themen darin, die durch immer wiederkehrende Situationen oder Rhetoriken vorgetragen werden. Shakespeares Oeuvre als Serie aus Krieg, Liebesverrat und Traumwelten Wie wäre es, fragte sich die Akademikerin, dieses Oeuvre zu zerstückeln und eine Serie daraus zu entwickeln? Zu untersuchen, wie oft und in welchen Zusammenhängen Kleiderwechsel erfolgen, Tücher, Ringe und Briefe getauscht oder Flüche hervorgestoßen werden. Welche Rolle immer wieder Krieg, Liebesverrat oder die Welt der Träume spielen. Auf nahezu 400 Seiten verlegt die versierte Shakespearekennerin immer neue Gedankenschnüre von Motiv zu Motiv, Stück zu Stück, Szene zu Szene. Als Leser kann man mitunter schnell einmal den Faden verlieren zwischen all den Figuren, Konflikten und Katastrophen, die meist nur kurz skizziert und aus ihrem Zusammenhang gelöst werden, bevor es zum nächsten Werk, einer neuen Verknüpfung geht. Den Lesefluss hindert auch, dass alle Stückzitate auf Englisch eingefügt und nicht übersetzt werden. Hat man sich aber eingelassen auf die nicht ganz einfache Lektüre, setzt der Sog der Serie ein. Die Lektüre Shakespeares ist nie erschöpfend, weil sie immer wieder von neuem ansetzen kann, weil jede Aussage eine Annäherung, keine endgültige Festlegung ist, weil alles auch nochmals anders gedacht, und anders erzählt, werden könnte. Quelle: Elisabeth Bronfen – Shakespeare und seine seriellen Motive Schmuckstücke wechseln folgenreich den Besitzer So lohnt es sich auf jeden Fall, Shakespeares Stücke parallel zur Hand zu nehmen, um sich mehr als nur einzelne Sequenzen oder Motive zu vergegenwärtigen. Mit Elisabeth Bronfens aufschlussreichen Analysen lassen sie sich dann tatsächlich neu ergründen. Was zirkulierende Juwelen betrifft zum Beispiel. Keine Gegenstände würden so oft verschickt, verschenkt oder vertauscht in Shakespeares Dramen wie Schmuckstücke, heißt es da. Richard III. allerdings täusche mit dem Ring, den er Lady Anne schenkt, nur Treue vor, während Rosalind zu Beginn von „Wie es euch gefällt“ Orlando eine Kette als echten Liebespfand übergebe, ganz zu schweigen von der wohl berühmtesten Liebenden und Leidenden der Dramengeschichte. Juliet setzt ihrerseits einen Ring als Köder ein, um nach ihrer geheimen Hochzeit den Bräutigam zu sich zu lotsen. Sie bittet ihre Amme, »find him, give this ring to my true knight and bid him come to take his last farewell« Quelle: Elisabeth Bronfen – Shakespeare und seine seriellen Motive In den acht Kapiteln des Buches wechseln neben Schmuckstücken auch Tücher, Briefe oder Kleider folgenreich den Besitzer, werden Königinnen ins Zwielicht ihrer Macht gesetzt oder Traumwelten durchmessen. Und es wird der Krieg als Fortsetzungsdrama in den Fokus gerückt. Feldzüge und Schlachten waren zu Shakespeares Zeiten allgegenwärtig. Gekämpft wird in seinen Stücken viel und blutig. Aber, und das interessiert Elisabeth Bronfen weit mehr, nicht nur auf dem militärischen Schlachtfeld. So wird beispielsweise in den Komödien Wortwitz gern als Waffe eingesetzt. Die Liebeswerbung nimmt die Gestalt eines romantischen Scharmützels ein, in dem Verkleidungen, Täuschungen so wie verbale Gewalt mobilisiert werden. Quelle: Elisabeth Bronfen – Shakespeare und seine seriellen Motive Herausfordernde Lektüre mit vielen Fakten, Figuren und Fallbeispielen All das findet sich in der flirrenden Komödie „Viel Lärm um nichts“, deren dramaturgischer Ausgangspunkt die Fortsetzung des Krieges als Liebeswerbung ist. Don Pedro kommt mit seinen Kumpanen nach erfolgreichem Feldzug nach Messina zurück. Die Kriegslust scheint allerdings noch nicht befriedigt und so wird Hero, die Tochter des Gouverneurs, zum Gegenstand einer Wort- und Werbungsschlacht am Hof. Bevor die Autorin aber genauer darauf eingeht, strebt sie schon weiter zum nächsten Stück und weiter und weiter. Fädelt immer neue Fakten, Figuren und Fallbeispiele auf ihre Gedankenschnüre. Am Ende ist es der Leser, der sie nach herausfordernder Lektüre zusammenbinden muss. Wie sagt Shakespeare: „Es steigt der Mut mit der Gelegenheit.“…
Der diesjährige Auftakt der Akkordeonale ist im Karlsruher Tollhaus. Dort kann man erleben, auf welchen unterschiedlichen Weisen man Akkordeon tatsächlich spielen kann. Wild und virtuos, als Tanzinstrument, als Orgel oder als Orchester mit verschiedenen Stimmen. Franziska Hatz aus Österreich ist Teil der Akkordeonale und erklärt im Gespräch mit SWR Kultur den Zauber des Akkordeons. Ich habe entdeckt, wie toll das Instrument ist, das kleinste Orchester der Welt, das man mitbringen kann. Quelle: Franziska Hatz…
Das Leben eines Zuckerrohrarbeiters, die Kolonialzeit oder Teenagerschwangerschaften – die dominikanische Filmszene greift Themen auf, die eher selten im Kino zu sehen sind. Beim Filmfestival CINELATINO stehen diese Werke nun im Fokus. Auch das indigene Amazonien wird beleuchtet. Warum lateinamerikanische Filme kaum den Weg in europäische Kinos finden und wie sich die Filmproduzenten Gehör verschaffen – darüber sprechen wir mit der Festivalleiterin María Vallecillos Soldado.…
In der neuen Doku-Serie „YouTube changed my life“, die in der ARD-Mediathek zur Verfügung steht, wird an die Anfänge der Video-Plattform erinnert. Co-Autorin Franka Schönwandt berichtet zu den Recherchen in SWR-Kultur, dass viele der Stars zunächst in ihre Berühmtheit hinein stolperten: „Die hatten keine Regeln, waren technikaffin, haben einen Platz gesucht, sich auszuleben.“ Der Blick der Doku zeige, wie sehr sich die Medienwelt in zwei Jahrzehnten verändert hat. Nahbarkeit als Erfolgsfaktor Während heute viel Berühmtheiten der Internet-Welt genau wüssten, was sie tun, seien die Anfänge der Plattform sehr naiv gewesen: „Es gab keine Influencer, keine Social Media, keine Manager, die Strategien vorgaben“, so Schönwandt. Die Lernkurve vieler Youtuber sei deshalb „ganz, ganz hart“ gewesen. Über das Erfolgsgeheimnis von Youtube sagt die Doku-Filmerin im Nachhinein: „Ein ganz großer Faktor war die Nahbarkeit – das waren Menschen wie Du und ich.“…
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Oliver Müller ist Leiter von Caritas International, dem Not- und Katastrophenhilfswerk des Deutschen Caritasverbandes mit Sitz in Freiburg, und er hat Papst Franziskus mehrfach persönlich getroffen. SWR Kultur-Moderator Wilm Hüffer hat mit Oliver Müller gesprochen.
Zwei Frauen sitzen in gleißender Sonne am Pool, die eine raucht, die andere isst einen Apfel. Sie wirken distanziert. Schon das Cover trägt in sich eine Spannung zwischen sommerlicher Leichtigkeit und einer gewissen Leere. Alles beginnt erst einmal sehr unkompliziert. Elena arbeitet als freie Kuratorin für ihre Freundin, die Künstlerin Ali. Deren Lebensgefährtin Nana besitzt ein Sommerhaus an der Atlantikküste in Südwestfrankreich. Ali bietet Elena an, das Haus den Sommer über zu nutzen. Ohne lange nachzudenken oder ihre Familie zu fragen, sagt Elena zu. Ich war es, die hierher wollte und alle anderen überredet hat. Ich wollte ins Licht. Glattgezogene Strände, der heranrollende Atlantik. Goldgräberstädte an den Küsten, ein Garten im Hinterland. Im September werden die Zelte und Buden eingeklappt, die Küstenorte schließen. Man kommt für die Sonne und die Gischt. Quelle: Nina Bußmann – Drei Wochen im August Mal blumig, mal kühl Doch so einfach, wie es scheint, ist alles nicht. Schon der Grund, warum das Sommerhaus ungenutzt bleibt, gibt zu denken: Nana leidet an einem Hirntumor und wird sterben. Davon wenig beeindruckt, zieht es Elena in die Sonne. So reist sie mit ihren beiden Kindern Rinus und Linn, mit Linns Freundin Noémie und mit Eve, dem Kindermädchen, für drei Wochen nach Frankreich. Elenas Mann Kolja bleibt derweil zu Hause. Er muss arbeiten. Die Ehe der beiden ist in Schieflage geraten. Nina Bußmann erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Elena und dem Kindermädchen Eve. Elena schildert die Ereignisse oft blumig und in ausschweifenden Sätzen, Eve hingegen ist kühler, knapper und hat einen kritischeren Blick, sowohl auf Elena als auch auf das vermeintliche Idyll, das mit zunehmendem Handlungsverlauf ein immer bedrohlicherer Ort wird. Da sind zum einen die Waldbrände, die in der Nähe wüten. Zum anderen die unberechenbaren Strömungen im Atlantik. Dann funktioniert Elenas Kreditkarte zeitweise nicht. Und schließlich sind da noch die unangekündigten Besucher: ein herrenloser Hund, der eines Tages im Garten steht, und Franz mit seiner Tochter Marla aus Berlin, der sich ebenfalls als Freund Alis ausgibt. Er stellt sich einfach mit seinem VW-Bus auf das Grundstück, bedient sich am Kühlschrank und kocht aufwendige Menüs, deren Zutaten er aber immer Elena einkaufen oder sich von anderen schenken lässt. Eine Suppe aus Abfällen Im Haus ist der Dunst der Festsuppe in alle Winkel gezogen. Lorbeer und Knoblauch, Rosmarin und Fisch. Eine Suppe aus Abfällen, darauf ist er stolz, angeblich befindet sich nichts darin, das er nicht an einem Marktstand oder von einem Restaurant geschenkt bekommen hat oder am Wegrand gesammelt. Quelle: Nina Bußmann – Drei Wochen im August Überhaupt die gemeinsamen Mahlzeiten: Ihre Zubereitung und Sinnlichkeit sind scheinbar das Einzige, was diese fragile Gemeinschaft zusammenhält, denn die räumliche Nähe und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Protagonisten führen zu Spannungen, die jederzeit in offene Konflikte münden können. Mit Crémant und Austern und mit Wein, dem vor allem Elena auffällig zuspricht, werden die Risse im System wieder gekittet. Aber der Abgrund darunter bleibt spürbar. Bußmann erzählt all das in einer poetischen und dennoch wunderbar klaren Sprache, bei der sich die Stimmen von Elena und Eve wie in einem Dialog ergänzen. Bußmann hat ein genaues Gespür, etwa für Naturbeobachtungen und für menschliche Konfliktlagen, die sie hervorragend seziert. Gleichzeitig hat das Buch Längen. Allerdings transportiert sich dadurch auch die Langeweile und Leere im Leben der Figuren. Unklar bleibt, ob das von der Autorin so kalkuliert ist. Eine Geschichte von Privilegierten Erst kurz vor Schluss, als Linn bei einer Party plötzlich spurlos verschwindet, kommt Zug in die Geschichte. „Drei Wochen im August“ ist auch die Geschichte von Privilegierten, die in all ihrem Wohlstand doch um existentielle Leerstellen kreisen. Und es ist dieses Flirren zwischen Leichtigkeit und Abgründen, das das Buch letztlich lesenswert macht. Sind wir zu beneiden, Eve?“ Ich frage mich, ob seine Frage mich einschließt. Wahrscheinlich nicht. Aber über die Antwort muss ich nicht nachdenken: „Natürlich sind wir zu beneiden, es geht uns doch sehr, sehr gut hier“ Quelle: Nina Bußmann – Drei Wochen im August…
Die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart verfügt über eine der größten und wichtigsten Bibelsammlung weltweit. Die Bibeln aus allen Teilen der Welt gehen in der Regel auf die Tätigkeit christlicher Missionare zurück, die oft als erste in Kontakt mit anderen Kulturen kamen. Ausstellung „Gottes Wort für alle Welt!? Bibeln und Mission im kolonialen Kontext“ Missionierung und Kolonialismus wiederum haben eine gemeinsame Geschichte, wobei sich die Missionare ganz unterschiedlich im Rahmen der jeweiligen Kolonialmacht bewegt haben. Die Spannweite reicht von enger Kooperation bis zu offener Ablehnung. Das versucht die Ausstellung „Gottes Wort für alle Welt!? Bibeln und Mission im kolonialen Kontext“ darzustellen, die in der Württembergischen Landesbibliothek zu sehen ist. Beeindruckend ist allein die schiere Vielfalt unterschiedlichster Bibeln aus allen Kontinenten der Welt. Sie stellen einen Versuch der Missionare dar, die Lebensverhältnisse anderer Kulturen in der jeweiligen Bibelübersetzung lebendig werden zu lassen. Christian Herrmann, Kurator und Leiter der Sondersammlungen in der Württembergischen Landesbibliothek, verweist auf eine 1629 gedruckte Ausgabe des Matthäus-Evangeliums auf Malayisch-Niederländisch. In der Übersetzung werde sich an die dortige Natur (im heutigen Indonesien) angepasst: Aus einem Wolf werde ein Tiger, aus einem Feigenbaum ein Bananenbaum. Keine Begegnungen auf Augenhöhe Erstaunlich sei auch, welche sprachliche Variationen das Wort „hoffen“ erfahren hat: Auf Berom, einer Landessprache im Westen Nigerias, bedeutet „hoffen“, „die Leber auf etwas auszurichten“. Auf Cerma, gesprochen in Burkina Faso, bedeutet es „den Speichel schlucken“. Trotz dieser Anpassungsbemühungen aber wird klar: es sind keine Begegnungen auf Augenhöhe. Die weißen Missionare brachten europäische Kultur und Tradition in den letzten Winkel der Erde. Ihr Missionserfolg wurde unter anderem daran gemessen, ob sich die neuen indigenen Christen der europäischen Lebensart angepasst hatten. Ein Foto in einem Bericht über die Brüdermission in der Kapkolonie von 1902 zeigt eine Gruppe verkleidet wirkender Männer und Frauen. Von den Missionaren wurde gefordert: Wer Christ wurde, musste sich nach europäischer Textiltradition kleiden, so Christian Herrmann. Das betraf auch die Architektur: „Eine Kirche musste so gebaut werden, wie sie in Europa aussieht.“. Das „schwarze Heidenkind“ lernt deutsche Kirchenlieder Das europäische Überlegenheitsgefühl äußert sich in vielen Details: in den Kinderbüchern der Missionsstationen zum Beispiel wird das „schwarze Heidenkind“ aus den Fängen eines bösen Räubers befreit und lernt deutsche Kirchenlieder. Die blutige Begegnung zwischen den spanischen Eroberern und dem Inka-Herrscher Atahualpa in Peru illustriert ein Holzschnitt aus dem Jahr 1534, auf dem ausgerechnet eine Bibel zum Auslöser des Gemetzels wird. Und eine sehr besondere, zugleich traurige Kostbarkeit stellt die älteste Bibel Amerikas dar. Sie wurde 1663 von John Eliot übersetzt, ein Missionar in Neuengland. „Er hatte die Vision, eine Art Lebensgemeinschaft mit dem indigenen Volk zu bilden. Als erstes hat er die Bibel komplett übersetzt. Den indigenen Stamm gibt es heute nicht mehr – es gibt nur noch das Schriftzeugnis über ihn.“ Der Bundesstaat Massachusetts ist nach dem Stamm benannt. Seine Angehörigen kamen durch Krankheiten, Gewalt und Vermischung ums Leben. Historisch heikles Terrain Die Ausstellung in der Württembergischen Landesbibliothek ist ohne Zweifel beeindruckend, sie offenbart zugleich aber auch ein Dilemma: Sie will ihre kostbaren Bibelschätze zeigen und begibt sich mit den für die Mission entstandenen Übersetzungen zwangsläufig auf ein historisch heikles Terrain. Die Verbindungslinien zwischen missionarischem Sendungsbewusstsein, kolonialem Gebaren und Eurozentrismus werden zwar durchaus skizziert. Zugleich wird Mission per se als etwas Positives, Bereicherndes gesetzt. Eine Sicht, die heute so einfach nicht mehr zu verkaufen ist.…
Der ehemalige Musikmanager Eric Wrede ist seit zehn Jahren Bestatter und Trauerbegleiter. Durch seinen Podcast und verschiedene Bücher ist er bundesweit bekannt geworden, auch durch seinen eher ungewöhnlichen Umgang mit den Themen Tod und Sterben. Zwei neue Filme widmen sich nun seiner Arbeit: die Dokumentation „Der Tod ist ein Arschloch“ des Mainzer Regisseurs Michael Schwarz und der Fernsehfilm „Sterben für Beginner“. „Sterben für Beginner“: Klartext von Anfang an „Sterben für Beginner“ spielt in der quirligen Berliner Musik- und Kneipenszene. Das Thema Tod ist eigentlich weit weg von den beiden Freunden Eric und Alex. Sie leben in den Tag hinein und feiern die Nächte durch. Bis Eric erfährt, dass sein bester Freund an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt ist. Schon ganz am Anfang wird hier Klartext geredet. Ich nehm' den Tod ganz einfach in meinen Arm, ich mach' ihn sogar zu meinem Job. Und dann zeig ich ihm, wie man tanzt. Quelle: Eric in „Sterben für Beginner“ Mit Tanzen und Konzerten ist erst mal Schluss. Eric, gespielt von Edin Hasanovic, quittiert seinen Job und wird Praktikant in einem Bestattungshaus. Dort geht es eher um die hochwertigen Särge als um Empathie mit den Hinterbliebenen. Eric ist fassungslos, macht aber weiter. Und beobachtet gleichzeitig ganz genau die Abläufe dieser sehr traditionellen Bestattungskultur. Im echten Leben war es ähnlich wie im Spielfilm. Eric Wrede gründete vor gut zehn Jahren sein eigenes Bestattungsunternehmen. Mit der Überzeugung, vieles was er vorher gesehen und erlebt hatte, anders zu machen. Davon erzählt der Dokumentarfilm „Der Tod ist ein Arschloch“. „Der Tod ist ein Arschloch“: Neue Wege für alte Bestattungsformen? Es sei ein Irrsinn, sagt Eric Wrede, wie viele Menschen mit einer althergebrachten Form des Bestattens überhaupt nichts anfangen könnten – ein Umstand, der sich durch alle Bevölkerungsschichten ziehe. Wir haben von Anfang an versucht, Abschiede so anzubieten, wie wir sie selber gerne hätten. Für uns war klar: Es ist wichtig, herauszufinden, was Angehörige brauchen. Und ihnen die Kraft zu geben, den Weg zu gehen, der für sie gut ist. Quelle: Eric Wrede Warum ist unsere Sterbe- und Trauerkultur so durchkommerzialisiert und unpersönlich? Und warum ändert sich daran so wenig? Diese Fragen treiben Eric Wrede um. Niemand bringe uns bei, richtig Abschied zu nehmen. Also sucht er nach Alternativen. Er lasse den Trauernden viel Zeit. Am ersten Tag soll beispielsweise möglichst wenig entschieden werden, es sei denn, die Trauernden wollen dies. Ich würde erst mal fragen, um wen es geht. Ich möchte den Menschen verstehen, den wir da beerdigen. Quelle: Eric Wrede Im Spielfilm kommt die Figur des Bestatters Eric mit dieser Haltung an seine persönlichen Grenzen. Sein bester Freund Alex hat nur noch wenige Wochen zu leben. Lässiger Humor, melancholische Momente, nüchterner Blick Wie reagieren die Eltern, wie geht die hochschwangere Ehefrau damit um? Und was tut Eric, bester Freund und neuerdings auch Spezialist für das Thema Tod? Das erzählt der Spielfilm „Sterben für Beginner“ mit bewundernswerter Lässigkeit, viel Humor, aber auch ruhigen, melancholischen Momenten. Nüchterner geht die Dokumentation „Der Tod ist ein Arschloch“ mit dem Thema um. Warum hat Regisseur Michael Schwarz diesen Titel gewählt? Ich glaube, am Ende des Tages gibt es keine wirklich gute Lösung, mit dem Thema umzugehen. Und selbst wenn man es ideal lösen will, bleibt dann trotzdem der Verlust. Und das kann man schon in diesem Zitat – der Tod ist eine Arschloch - zusammenfassen. Quelle: Michael Schwarz Trauerbegleiter Eric Wrede steht im Mittelpunkt beider Filme. Seine positive Ausstrahlung ist sein Markenzeichen geworden. Für ihr bedeutet ein gesunder Trauerprozess, das Gefühl, das einen am Anfang kontrolliert, selbst zu kontrollieren. Es gehe darum, in der Lage zu sein, zu sagen: Jetzt erinnere ich mich. Jetzt holen wir das raus. Und wichtiger noch: Ich kann anfangen, es positiv zu besetzen. Wir holen irgendwann die guten Erinnerungen raus. Das ist meine Form, wie ich damit umgehe. Quelle: Eric Wrede…
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Vor genau 80 Jahren, am 22. April 1945, starb Käthe Kollwitz. Sie bleibt der Welt als politisch und gesellschaftlich engagierte Frau, Aktivistin und Pazifistin in Erinnerung, deren Schaffen bis heute nichts an Bedeutung verloren hat. Im Gespräch mit SWR Kultur berichtet Josephine Gabler, Direktorin des Käthe-Kollwitz-Museums in Berlin, etwa davon, erst kürzlich bei einer Demonstration gegen den Paragrafen 218 eine Reproduktion eines von Kollwitz‘ Plakaten gesehen zu haben. Kollwitz sei „unheimlich revolutionär“ gewesen. Von ihrer Zivilcourage könne man auch in heutigen Zeiten, in Debatten um Krieg und Frieden, etwas lernen.…
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SWR2 Kultur Aktuell

War es ein Unfall oder Mord? Diese Frage stellt sich nach dem hinzugefügten Prolog zu Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ am Opernhaus Zürich. Regisseur Dmitri Tcherniakov lässt seinen Paul erst einmal seine Sicht auf die Frau erklären. Eine reinrassige Männerfantasie körperlicher und geistiger Unterwerfung. Dann ist Marie tot. Vom Balkon gestürzt. Hat sie sich dem Unterwerfer entzogen, der nicht Liebe, sondern Macht will? Eine Oper wie ein Hitchcock-Film Mit dem Beginn der herabperlenden Akkordfolge landen wir auf der Straße und blicken auf die Hausfassade in Brügge. Durch die Fenster beobachten wir das Geschehen in Pauls Wohnung. Das ist als Schaulust klassischer Voyeurismus, wie wir ihn aus Alfred Hitchcocks „Fenster zum Hof“ kennen. Und noch einen anderen Hitchcock-Klassiker nimmt Korngolds Meisterwerk vorweg: „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“. Kein Wunder, wurde Korngold nach seiner erzwungenen Emigration zum Erfinder der sinfonischen Filmmusik in Hollywood. Zwischen Göre und Selbstermächtigungsfrau Auf der Straße begegnet Paul einem Mädchen namens Marietta mit blond-grüner Punkfrisur. In ihr glaubt er seine verstorbene Marie wiederzuerkennen. Marietta wird zum seltsamen Objekt seiner Begierde. Paul versucht, sie der Verstorbenen anzugleichen. Tcherniakov lässt Marietta als dreifache Männerfantasie in Erscheinung treten: als Göre, als Diva der rollschuhfahrenden Tingeltangel-Truppe und als rauchende Selbstermächtigungsfrau. Sie hält Paul schließlich den Spiegel seiner bigotten Verlogenheit vor, als er sich zur mittelalterlichen Kirchenprozession in den Straßen Brügges als Bischof kostümiert. Seine Fetische – Haar und Kostüm der Toten – befördert sie zum Fenster hinaus, worauf der Rasende sie auf dem Tisch erwürgt und wieder zur toten Marie macht. Diesmal ist es wirklich ein Mord. Ein Zwei-Personen-Geschlechterkampf Dieses bizarr-surreale Spiel nach dem Motto „Nur über ihre Leiche“ inszeniert Tcherniakov als reine Kopfgeburt der Männerfantasie. Und das ist sie auch bei Korngold: Am Ende versucht ihn sein Freund Frank aus der Wohnung zu befreien, die als „Tote Stadt“ nichts anderes ist als sein unterbewusstes Gefängnis. In diesem Sinne wird ein Kammerspiel inszeniert, ein Zwei-Personen-Geschlechterkampf, bei dem alle anderen Stichwortgeber sind. Konsequent singt der Prozessionschor nur hinter der Bühne, was seine klangmagische Wirkung verstärkt. Traumbesetzung: Vida Miknevičiūtė und Eric Cutler Vida Miknevičiūtė als Marietta und Eric Cutler als Paul sind ein Traumpaar in diesem Geschlechter-Alptraum. Miknevičiūtė kann drei Frauenfiguren mit einer Stimme jonglieren, frivol, geschmeidig und erschreckend. Eric Cutler ist bravourös in einer der monströsesten Tenorpartien der Operngeschichte, die sich in die Höhen des Irrealen hinaufschraubt. Er verfügt nicht nur über enorme Kraftreserven, um das durchzustehen, sondern auch über die entsprechende Wandlungsfähigkeit vom Flehenden über das Bedrohliche bis hin zum Gewalttätigen. Als Frank und Pierrot Fritz ist Björn Bürger ein standfester, immer lyrisch schöner Bariton. Perfekt auf der Bühne, nicht im Orchestergraben Auf der Bühne wird damit Korngolds Partitur perfekt umgesetzt. Das Problem befindet sich im Graben. Lorenzo Viotti zwingt die Philharmonia Zürich zu einem pauschal undifferenzierten Dauer-Forte. An einigen Stellen ist es geradezu unfreundlich desinteressiert gegenüber den stimmlichen Anforderungen. Bei der brillanten, mit harmonischen Raffinessen aufwartenden Partitur Korngolds richtet das immerhin keinen weiteren Schaden an. So lässt sich einmal mehr in Zürich diese grandiose Oper wieder entdecken.…
Wildhof, das ist der Name eines fiktiven Schwarzwalddorfes. Stehen das Dorf und seine Bewohner in Eva Strassers Roman für die soziale Kontrolle, aber auch Geborgenheit der menschlichen Welt, herrschen im Wald und einem abseits gelegenen Haus die Gesetze der Natur und des Übernatürlichen. Durch das Küchenfenster sieht man auf moosdurchtränktes Gras, bis zu der kleinen buckligen Steinmauer am Ende des Gartens. Dahinter beginnt der Wald, dahinter beginnen die Berge. Hunderte Tannen drängen sich dicht an dicht und wuchern ungehindert den Hang hinauf. Die Tannen starren Tag und Nacht direkt ins Haus. Und sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Quelle: Eva Strasser – Wildhof Vor zehn Jahren, an ihrem 18. Geburtstag, hat Lina den Ort ihrer Kindheit fluchtartig verlassen. Fern der Heimat hat sie sich in der Anonymität Berlins eine erfolgreiche Karriere in einem IT-Startup aufgebaut. Doch der plötzliche Unfalltod ihrer Eltern zwingt sie zur Rückkehr– das Begräbnis organisieren, das Haus verkaufen, schnell und ohne Sentimentalität. Denn Lina will diesem Ort endgültig den Rücken kehren. Getrieben von den Geistern der Vergangenheit Zurück in Wildhof stürzen die Erinnerungen auf sie ein. Als Lina im Garten an einem kleinen Glöckchen aus Kindertagen zieht, fällt sie in einen Abgrund aus Tönen, Gerüchen und Bildern ihrer Vergangenheit. Die Erinnerungen wollen rein, in ihr Leben, in ihren Körper, irgendwo weiterleben, dem Nichts entkommen. Sie flieht vor dem Baum zum Haus, ihr war nicht klar, dass sie fliehen muss, sie wusste nicht, dass der Baum eine Falle ist und welche Macht er hat, sie muss das Seil abschneiden. Oder gleich den Baum fällen. Das ganze Haus abreißen lassen. Weg damit. Quelle: Eva Strasser – Wildhof Kindheit, das ist für Lina gleichbedeutend mit Luise. Jede Erinnerung an Glück, jedes Gefühl von Schmerz kreist um ihre Zwillingsschwester, die mit 13 Jahren spurlos und für immer im Wald verschwand. Roman oder Sonntagabendkrimi? Beim Lesen dieses Buches entsteht ein Gefühl wie bei einer Fernsehserie: Man will dranbleiben, wissen wie es mit Lina und Luise weitergeht – und fühlt sich gleichzeitig chronisch unterfordert. Dem Text ist das Handwerkszeug seiner Autorin anzumerken: Strasser schreibt Drehbücher, unter anderem für Krimi-Serien. Wäre „Wildhof“ ein Film, wir würden es andauernd im Unterholz rascheln hören, vermutlich auch Linas schnell gehenden Atem und ihren Herzschlag. Sogar der nette Polizist am Krankenhausbett, bekannt aus Sonntagabendkrimis, hat im Buch seinen Auftritt. Der ganze Roman wirkt von Anfang bis Ende durchkonstruiert und gleichzeitig in seinem Übermaß an sinnlichen Eindrücken merkwürdig übersteuert. Klischees und schale Metaphern Linas Stadt- und Startup-Leben rückt im Laufe des Romans in immer größere Ferne. Einmal gerät sie dann doch in einen Videocall – und erhält im Anschluss begeisterte Chatnachrichten der Kollegen über das Interieur ihres Schwarzwaldhauses. Auf dem Handy schon die ersten Nachrichten aus der Firma, erst mal sorry für den Überfall, aber wie cool und retro und crazy war diese Uhr denn gerade bitte, wow, Daumen hoch, Hashtag Natur, Specht-Emoji. Quelle: Eva Strasser – Wildhof In Sätzen wie diesen oder der völlig holzschnittartigen Schilderung eines ignorant-eleganten Architektenpaares scheint das Buch für ein (fiktives) älteres und großstadtfernes Publikum geschrieben. Wenn in Lina aber das Animalische durchbricht, sie anfängt zu „knurren“ und zu „wittern“ und mit einem Fantasiewesen namens „Rehkönigin“ korrespondiert, dürften vor allem jugendliche Leser von Tier-Fantasy-Reihen wie Woodwalkers oder Animox auf ihre Kosten kommen. Sie würden der Autorin vermutlich auch verzeihen, dass in ihrem Buch Glücksgefühle mit Schmetterlingen verglichen werden und Augen wahlweise „mit den Sternen um die Wette“ funkeln oder so „tief und dunkel“ sind „wie ein Waldsee“.…
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