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„Kriegstüchtig sollen immer nur die anderen werden“

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„Die Zeichen der Vorbereitung auf den Krieg sind nicht zu übersehen.“ Und: „Klar ist, dass eine Klasse, die Krieg führen will, entsprechende Erzählungen braucht, um die Bevölkerung in den Krieg führen zu können“ – das sagt der Psychoanalytiker Klaus-Jürgen Bruder im Interview mit den NachDenkSeiten. Bruder, Jahrgang 1941, beweist in dem Interview einen scharfen Verstand und sagt, es sei fast bereits eine „Mobilmachung“ zu beobachten: „Die Waffenproduktion wird aufs Äußerste gepusht, das Klima der Innenpolitik wird extrem in Richtung Militarisierung verschärft, die Zivilgesellschaft auf die Aufgabe der Versorgung der Truppe vorbereitet“, so Bruder weiter. Zum Abschluss des Interviews betont Bruder: „Die wichtigste Waffe, die die Bevölkerung hat, ist die Solidarität, der Widerstand gegen die Vereinzelung.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marcus Klöckner: Das letzte Mal haben wir ein Interview im September 2020 geführt. Seit dieser Zeit ist viel passiert. Derzeit wird darüber gesprochen, dass „wir“ wieder „kriegstüchtig“ werden müssen. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf, wenn Sie das hören?

Klaus-Jürgen Bruder: Das ist eine Parole, so richtig nach dem Geschmack derer, die, wie Habeck von sich sagt: „Ich muss da nicht kämpfen und ich werde auch nicht sterben in diesem Krieg!“[1]. „Kriegstüchtig“ sollen immer nur die anderen werden, die Bevölkerung, sie soll die Kartoffeln aus dem Feuer holen, den Kopf hinhalten für etwas, was sie gar nicht will, was aber andere wollen. Die kümmern sich nicht um die Interessen der Bevölkerung, bereits vor dem Krieg: Alles von der Bevölkerung Erarbeitete wird in die Rüstung und den Krieg gesteckt, alles Übrige bleibt liegen, verrottet bereits seit Jahren: die Straßen, die Krankenhäuser, die gesamte Infrastruktur, die soziale Absicherung. Dieses betrifft die Interessen und Wünsche der Bevölkerung – „glücksüchtig“ hatte sie Gauck bereits vor über zehn Jahren beschimpft, für die „schwer zu ertragen“ sei, „dass es wieder deutsche Gefallene gibt“.[2]

Das muss der Bevölkerung erst wieder beigebracht werden. „Kriegstüchtig“ muss diese Bevölkerung erst gemacht werden. Die Kommandostrukturen des Militärs müssen auf die Zivilgesellschaft übertragen, ihr aufgepresst werden. Dazu muss ein Ausnahmezustand über das gesellschaftliche Leben verhängt werden. Den Vorgeschmack haben wir in den letzten vier Jahren erhalten. Wir kennen bereits die Drohung, dass „nichts mehr so sein wird wie vorher“ von Klaus Schwab vom WEF, die Scholz zur „Zeitenwende“ erhoben hat und mit jesuitischem Pathos verkündet: „wir nehmen die Herausforderung an, vor die die Zeit uns gestellt hat – nüchtern und entschlossen“ (am 27. Februar 2022 im Bundestag).

In den Köpfen von Politikern und nicht wenigen Journalisten scheint sich die mentale Zeitenwende zu vollziehen. Was muss da in den Köpfen vorgehen? Haben Sie eine Ahnung? Wie erklären Sie sich das aus Ihrem Fachgebiet und mit Ihrem Fachwissen?

Stellen wir uns doch mal vor, die vorherrschende Kriegspolitik käme in personifizierter Form zu Ihnen und würde sich auf die Couch legen. Haben Sie eine Vermutung, was dabei rauskommen würde?

Das falsche Pathos ist nötig und zeigt, dass sie an etwas anderes denken, als sie verkünden, bzw. dass sie gegen besseres Wissen handeln. Der jesuitische Einpeitscher in Camus‘ Roman „Die Pest“ spielt den Schicksalsergebenen. In Wirklichkeit war die Zeitenwende schon lange da, spätestens mit dem Jugoslawien-Krieg, aber dann aktuell mit den Sanktionen, damit, dass Russland zum Feind erklärt worden war. Die Herausforderung, vor die Scholz behauptet, gestellt worden zu sein, hat nicht die Zeit ihm gestellt, sondern Scholz, und er hat sie uns gestellt.

Kriege gab es schon vorher. Neu ist bei der jetzigen Kriegspropaganda, dass die Bevölkerung stärker in die kriegerischen Aktivitäten einbezogen werden soll. Sie muss die „Umstellungen“, die mit der „Zeitenwende“ gemeint sind, selbst tragen. Mit dem „Kalten Krieg“ ist jetzt Schluss. Die „Glücksüchtigkeit“ muss ein Ende haben. Jetzt geht es stramm zur Sache.

Wie sieht es mit den Intellektuellen aus?

Und die Intellektuellen? Ihre gesellschaftliche Position, ob es sich nun um Schriftsteller, Journalisten, Lehrer oder Professoren handelt, ist „zwischen“ den Vertretern der Macht, den Herrschenden und der Bevölkerung angesiedelt. Sie selbst neigen deshalb dazu, ihre Aufgabe als ausgleichende zwischen den Interessen der beiden Seiten zu sehen, wie Politiker sagten: die Politik „dem Volk verständlich machen“, die Bevölkerung erwartet eher deren Kritik. Wem werden sie ihre Stimme leihen? Nach dem, wie sie sich mehrheitlich während der Corona-Krise verhalten haben, nämlich gehorsam gegenüber den Anweisungen der staatlichen Regisseure und Gehorsam fordernd, so werden sie jetzt nicht anders handeln. Sie werden das Maul halten und nach dem Habeck-Prinzip „ich muss nicht in den Krieg“ sich selbst und ihre Söhne aushalten. Man sieht ja an den großspurigen Autos mit UA-Kennzeichen: Wer sich drückt – wofür wir Sympathie hätten –, muss es sich leisten können.

Die Politik ist das eine. Das andere ist die Gesellschaft. Wir reden von der Wiedereinführung der Wehrpflicht – was im Hinblick auf viele andere Äußerungen auf einen tatsächlichen Kriegseinsatz hinauslaufen könnte. Sogar Frauen sollen eingezogen werden. Zumindest gibt es diese Vorschläge. Mit anderen Worten: Eltern sollen ihre Söhne und Töchter dem Militär übergeben und können diese dann gegebenenfalls in einem Sarg abholen. Größeren Widerstand gibt es aber keinen. Wie erklären Sie sich das?

Die wichtigste Erklärung kann die Geschichte geben. Der Widerstand gegen den Krieg – und das wissen wir seit Langem, Lafontaine hat es immer wieder zitiert: die Mehrheit des Bundestags beschließt, was die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt. Und was der Bundestag beschließt, hat schließlich eine größere Chance, realisiert zu werden, als das, was die Bevölkerung will bzw. was sie ablehnt. Diese Geschichte reicht zurück bis in Zeiten, an die man sich kaum erinnern kann. Die Bevölkerung hat ihre Lektion aus dieser Geschichte gelernt: „Widerstand“ gegen den Willen der Politik, das haben wir in den vergangenen vier Jahren erlebt, wird mit Waffen bekämpft, die man gar nicht zählen kann: mit Diffamierung, Verleumdung, Polizeieinsätzen, vom Schlagstock über den Wasserwerfer bis zur Hausdurchsuchung und Einsperrung, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Entzug der Zulassung zur Berufsausübung eingeschlossen. Und das traurige, aber verständliche Ergebnis: Die Mehrzahl der Bevölkerung lässt sich von dem an Einzelnen vorgeführten Exempel beeindrucken und macht, was die Politik von ihnen verlangt – was soll sie denn stattdessen tun? Hier ist die Verantwortung der Intellektuellen gefragt: Sie haben die Position und die Mittel, den Kriegstreibern Paroli zu bieten, Stopp zu sagen. Bisher haben sie in ihrer überwältigenden Mehrzahl wieder mal schmählich versagt.

Weitere Erklärungsansätze?

Ihre Frage verblüfft mich! Reicht diese Erklärung nicht aus? Aber Sie haben recht: Es gibt in der Tat andere Erklärungsversuche. Man kann sie sogar flankierend dazu addieren. Der „Autoritarismus“ der Mehrheit. Er wartet nicht, bis er sieht, wie die Gegner zusammengeschlagen werden, um selbst mitzumachen. Er findet das brutale Verhalten Kritikern gegenüber vielleicht sogar „gerechtfertigt“. Nur: Diese Erklärung ersetzt die vorige nicht, sie folgt vielmehr der Erfahrung, die ich als grundlegende beschrieben habe, vielleicht in anderen Zusammenhängen: in der Schule durch den Lehrer oder die Klassenkameraden, oder zu Hause durch Vater und/oder Mutter, oder vermittelt durch deren Erzählungen oder die Beobachtung ihres Verhaltens anderen, vielleicht Vorgesetzten gegenüber. Immer spielt die Geschichte, die erfahrene oder erlesene, die entscheidende Rolle – auch in der Entwicklung der „Psyche“, der Ängste und Hoffnungen der Menschen.

Man kann auch noch von einer anderen Seite her sagen: Diese Geschichte erklärt nicht den Widerstand, erklärt nicht, dass es trotz aller Repression und Korrumpierung noch Menschen gibt, die Widerstand leisten. Diese Menschen ziehen wohl aus der Geschichte eine andere „Lehre“, wenn sie in den Wind schlagen, was andere davor zurückschrecken lässt, Widerstand zu leisten.

Und dafür ist wohl nicht die Geschichte zuständig, sondern die Psychologie?

Ja und nein. Auch die Psychologie ist Teil der Geschichte, der Erfahrung, der Lehre, die jemand aus dieser Erfahrung zieht, der Perspektive, dem Plan, den jemand aus dieser Erfahrung heraus entwickelt und den er in der neuen Situation ausprobieren möchte usw. Man könnte sagen, die Psyche ist sowohl Produkt der Geschichte als auch Produzent.

Ihr Fachgebiet ist die Psychologie. Sie beobachten aber auch das politische Geschehen aus der Sicht eines kritischen Analysten. Folgt man den Erzählungen aus den großen Medien, ist der Krieg in der Ukraine das Produkt von einem bösen Putin. Eine Vorgeschichte gibt es keine. Wie sehen Sie das?

Ja gewiss, das sind Erzählungen. Und Erzählungen, das hatte ich ja vorhin gesagt, vermitteln auch Orientierungen für das eigene Handeln und Denken, ebenso wie die unmittelbar erlebte Geschichte. Klar ist, dass eine Klasse, die Krieg führen will, entsprechende Erzählungen braucht, um die Bevölkerung in den Krieg führen zu können. Charakteristika solcher Erzählungen sind das Schwarz-Weiß-Denken zwischen bösem anderen und gutem eigenen Herren, das Abschneiden der Vorgeschichte, das erlaubt, die eigene Verantwortung, das eigene Handeln als bloße Reaktion auf die Handlung des anderen, als Verteidigungskrieg darzustellen und die moralische Verurteilung des Angriffskriegs der Gegenseite zuzuschieben.

Sie bereiten für das nächste Jahr einen Kongress vor, Titel: „Krieg und Frieden /Krieg und Kriegsvorbereitung – von einer Katastrophe in die nächste, von einem Krieg in den anderen.“ Warum planen Sie diese Veranstaltung? Halten Sie es für möglich, dass es zu einem großen Krieg kommt?

Wer sich auf den Krieg vorbereitet, der bereitet den Krieg vor. Das sehen wir in der Geschichte, in der von Historikern aufbereiteten Vergangenheit. „Ich will Frieden, und deshalb muss ich mich für den Krieg vorbereiten, darf nicht unvorbereitet sein“, das hat schon Hitler gesagt und vor ihm unzählige andere. Aus der Geschichte lernen, auch das ist ja verboten: Wir dürfen nicht mehr „vergleichen“ – sicher nicht, weil die, die uns das verbieten, darin eine Gleichsetzung sehen.

Und: Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Mehrzahl der Historiker die Geschichte aus der Perspektive der Herren, der herrschenden Klasse darstellen und deshalb – um auf das vorige Thema des Widerstands zurückzukommen – die Erfahrung eher als die Erfahrung von Niederlagen des Widerstands, Verfolgung, Ermordung, Auslöschung aus dem Gedächtnis der Völker anbieten, woraus die entsprechenden Schlussfolgerungen nahegelegt werden, sich nicht auf den Widerstand einzulassen.

Woran machen Sie das denn fest? Was sind Ihre Beobachtungen?

Die Zeichen der Vorbereitung auf den Krieg sind nicht zu übersehen, es ist ja schon fast wie Mobilmachung: Die Waffenproduktion wird aufs Äußerste gepusht, das Klima der Innenpolitik wird extrem in Richtung Militarisierung verschärft, die Zivilgesellschaft auf die Aufgabe der Versorgung der Truppe vorbereitet und gleichzeitig nicht nur die Begründung ununterbrochen dem Publikum eingehämmert: „Die Ukraine muss siegen!“. Sie muss deshalb mit allen Mitteln unterstützt werden – dabei geht es doch nur darum, sie bis zum letzten zu verheizen –, „der Russe“ bzw. „Putin“ steuere mit allen Mitteln auf Annexion der gesamten Ukraine zu, und das nur als Aufmarschgebiet für die Eroberung der anschließenden Länder der ehemaligen Sowjetunion, dagegen muss sogar der Angriffskrieg – „den Krieg nach Russland tragen“ – ins Auge gefasst werden. Gleichzeitig – sozusagen um die Gefährlichkeit dieses Abenteuers wieder zu neutralisieren – wird Russland überwiegend aus der Perspektive seiner Niederlagen vorgestellt und die Ukraine so, als reite sie von einem Sieg zum anderen.

Gibt es weitere Hinweise, anhand derer Sie Vorbereitungen auf einen Krieg deuten können?

Es könnte natürlich alles auch nur Drohgebärde sein, mit der Kalkulation, Russland beende den Krieg, bevor es gewonnen hat, und sei dann zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Allerdings sprechen die jüngsten Zerstörungen von Teilen des russischen Frühwarnsystems eine deutliche Sprache, die vermuten lässt, dass sie ihre skrupellosen Pläne tatsächlich umsetzen wollen.

Welche Mittel gegen diese Entwicklung gibt es? Was können Bürger tun?

Auf der staatlichen Ebene ist tatsächlich noch nicht alles geklärt. Ich denke an die entschiedenen Stellungnahmen der ungarischen und auch der bulgarischen Regierungschefs, zugleich auch an den Mordanschlag am slowakischen Ministerpräsidenten, der zeigt, wie zum Letzten entschieden die Kriegstreiber sind. Das könnte den Widerstand der Bevölkerung stärken und auch den Ernst der Lage klarmachen. Auch die aufsehenerregenden Veröffentlichungen sowohl der Folgen der Corona-Maßnahmenpolitik als auch der skrupellosen Durchsetzung könnten diesen Widerstand zusätzlich unterstützen. Die wichtigste Waffe, die die Bevölkerung hat, ist die Solidarität, der Widerstand gegen die Vereinzelung, die in der neoliberalen Zuspitzung eigentlich den Höhepunkt der Entfremdung erreicht hatte, wie man meinen sollte, der aber noch mal getoppt wurde durch die Corona-Politik und vor allem durch die Abstandsregel, die den anderen zum potenziellen Gefährder, also zum Feind gemacht hatte. Lernen wir doch lieber von der Frauenbewegung: „gemeinsam sind wir unerträglich!“

Titelbild: Screenshot KenFM


[«1] bei „Maischberger“, 26. Februar 2022

[«2] Bundespräsident Gauck am 12. Juni 2012 in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.

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Marcus Klöckner: Das letzte Mal haben wir ein Interview im September 2020 geführt. Seit dieser Zeit ist viel passiert. Derzeit wird darüber gesprochen, dass „wir“ wieder „kriegstüchtig“ werden müssen. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf, wenn Sie das hören?

Klaus-Jürgen Bruder: Das ist eine Parole, so richtig nach dem Geschmack derer, die, wie Habeck von sich sagt: „Ich muss da nicht kämpfen und ich werde auch nicht sterben in diesem Krieg!“[1]. „Kriegstüchtig“ sollen immer nur die anderen werden, die Bevölkerung, sie soll die Kartoffeln aus dem Feuer holen, den Kopf hinhalten für etwas, was sie gar nicht will, was aber andere wollen. Die kümmern sich nicht um die Interessen der Bevölkerung, bereits vor dem Krieg: Alles von der Bevölkerung Erarbeitete wird in die Rüstung und den Krieg gesteckt, alles Übrige bleibt liegen, verrottet bereits seit Jahren: die Straßen, die Krankenhäuser, die gesamte Infrastruktur, die soziale Absicherung. Dieses betrifft die Interessen und Wünsche der Bevölkerung – „glücksüchtig“ hatte sie Gauck bereits vor über zehn Jahren beschimpft, für die „schwer zu ertragen“ sei, „dass es wieder deutsche Gefallene gibt“.[2]

Das muss der Bevölkerung erst wieder beigebracht werden. „Kriegstüchtig“ muss diese Bevölkerung erst gemacht werden. Die Kommandostrukturen des Militärs müssen auf die Zivilgesellschaft übertragen, ihr aufgepresst werden. Dazu muss ein Ausnahmezustand über das gesellschaftliche Leben verhängt werden. Den Vorgeschmack haben wir in den letzten vier Jahren erhalten. Wir kennen bereits die Drohung, dass „nichts mehr so sein wird wie vorher“ von Klaus Schwab vom WEF, die Scholz zur „Zeitenwende“ erhoben hat und mit jesuitischem Pathos verkündet: „wir nehmen die Herausforderung an, vor die die Zeit uns gestellt hat – nüchtern und entschlossen“ (am 27. Februar 2022 im Bundestag).

In den Köpfen von Politikern und nicht wenigen Journalisten scheint sich die mentale Zeitenwende zu vollziehen. Was muss da in den Köpfen vorgehen? Haben Sie eine Ahnung? Wie erklären Sie sich das aus Ihrem Fachgebiet und mit Ihrem Fachwissen?

Stellen wir uns doch mal vor, die vorherrschende Kriegspolitik käme in personifizierter Form zu Ihnen und würde sich auf die Couch legen. Haben Sie eine Vermutung, was dabei rauskommen würde?

Das falsche Pathos ist nötig und zeigt, dass sie an etwas anderes denken, als sie verkünden, bzw. dass sie gegen besseres Wissen handeln. Der jesuitische Einpeitscher in Camus‘ Roman „Die Pest“ spielt den Schicksalsergebenen. In Wirklichkeit war die Zeitenwende schon lange da, spätestens mit dem Jugoslawien-Krieg, aber dann aktuell mit den Sanktionen, damit, dass Russland zum Feind erklärt worden war. Die Herausforderung, vor die Scholz behauptet, gestellt worden zu sein, hat nicht die Zeit ihm gestellt, sondern Scholz, und er hat sie uns gestellt.

Kriege gab es schon vorher. Neu ist bei der jetzigen Kriegspropaganda, dass die Bevölkerung stärker in die kriegerischen Aktivitäten einbezogen werden soll. Sie muss die „Umstellungen“, die mit der „Zeitenwende“ gemeint sind, selbst tragen. Mit dem „Kalten Krieg“ ist jetzt Schluss. Die „Glücksüchtigkeit“ muss ein Ende haben. Jetzt geht es stramm zur Sache.

Wie sieht es mit den Intellektuellen aus?

Und die Intellektuellen? Ihre gesellschaftliche Position, ob es sich nun um Schriftsteller, Journalisten, Lehrer oder Professoren handelt, ist „zwischen“ den Vertretern der Macht, den Herrschenden und der Bevölkerung angesiedelt. Sie selbst neigen deshalb dazu, ihre Aufgabe als ausgleichende zwischen den Interessen der beiden Seiten zu sehen, wie Politiker sagten: die Politik „dem Volk verständlich machen“, die Bevölkerung erwartet eher deren Kritik. Wem werden sie ihre Stimme leihen? Nach dem, wie sie sich mehrheitlich während der Corona-Krise verhalten haben, nämlich gehorsam gegenüber den Anweisungen der staatlichen Regisseure und Gehorsam fordernd, so werden sie jetzt nicht anders handeln. Sie werden das Maul halten und nach dem Habeck-Prinzip „ich muss nicht in den Krieg“ sich selbst und ihre Söhne aushalten. Man sieht ja an den großspurigen Autos mit UA-Kennzeichen: Wer sich drückt – wofür wir Sympathie hätten –, muss es sich leisten können.

Die Politik ist das eine. Das andere ist die Gesellschaft. Wir reden von der Wiedereinführung der Wehrpflicht – was im Hinblick auf viele andere Äußerungen auf einen tatsächlichen Kriegseinsatz hinauslaufen könnte. Sogar Frauen sollen eingezogen werden. Zumindest gibt es diese Vorschläge. Mit anderen Worten: Eltern sollen ihre Söhne und Töchter dem Militär übergeben und können diese dann gegebenenfalls in einem Sarg abholen. Größeren Widerstand gibt es aber keinen. Wie erklären Sie sich das?

Die wichtigste Erklärung kann die Geschichte geben. Der Widerstand gegen den Krieg – und das wissen wir seit Langem, Lafontaine hat es immer wieder zitiert: die Mehrheit des Bundestags beschließt, was die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt. Und was der Bundestag beschließt, hat schließlich eine größere Chance, realisiert zu werden, als das, was die Bevölkerung will bzw. was sie ablehnt. Diese Geschichte reicht zurück bis in Zeiten, an die man sich kaum erinnern kann. Die Bevölkerung hat ihre Lektion aus dieser Geschichte gelernt: „Widerstand“ gegen den Willen der Politik, das haben wir in den vergangenen vier Jahren erlebt, wird mit Waffen bekämpft, die man gar nicht zählen kann: mit Diffamierung, Verleumdung, Polizeieinsätzen, vom Schlagstock über den Wasserwerfer bis zur Hausdurchsuchung und Einsperrung, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Entzug der Zulassung zur Berufsausübung eingeschlossen. Und das traurige, aber verständliche Ergebnis: Die Mehrzahl der Bevölkerung lässt sich von dem an Einzelnen vorgeführten Exempel beeindrucken und macht, was die Politik von ihnen verlangt – was soll sie denn stattdessen tun? Hier ist die Verantwortung der Intellektuellen gefragt: Sie haben die Position und die Mittel, den Kriegstreibern Paroli zu bieten, Stopp zu sagen. Bisher haben sie in ihrer überwältigenden Mehrzahl wieder mal schmählich versagt.

Weitere Erklärungsansätze?

Ihre Frage verblüfft mich! Reicht diese Erklärung nicht aus? Aber Sie haben recht: Es gibt in der Tat andere Erklärungsversuche. Man kann sie sogar flankierend dazu addieren. Der „Autoritarismus“ der Mehrheit. Er wartet nicht, bis er sieht, wie die Gegner zusammengeschlagen werden, um selbst mitzumachen. Er findet das brutale Verhalten Kritikern gegenüber vielleicht sogar „gerechtfertigt“. Nur: Diese Erklärung ersetzt die vorige nicht, sie folgt vielmehr der Erfahrung, die ich als grundlegende beschrieben habe, vielleicht in anderen Zusammenhängen: in der Schule durch den Lehrer oder die Klassenkameraden, oder zu Hause durch Vater und/oder Mutter, oder vermittelt durch deren Erzählungen oder die Beobachtung ihres Verhaltens anderen, vielleicht Vorgesetzten gegenüber. Immer spielt die Geschichte, die erfahrene oder erlesene, die entscheidende Rolle – auch in der Entwicklung der „Psyche“, der Ängste und Hoffnungen der Menschen.

Man kann auch noch von einer anderen Seite her sagen: Diese Geschichte erklärt nicht den Widerstand, erklärt nicht, dass es trotz aller Repression und Korrumpierung noch Menschen gibt, die Widerstand leisten. Diese Menschen ziehen wohl aus der Geschichte eine andere „Lehre“, wenn sie in den Wind schlagen, was andere davor zurückschrecken lässt, Widerstand zu leisten.

Und dafür ist wohl nicht die Geschichte zuständig, sondern die Psychologie?

Ja und nein. Auch die Psychologie ist Teil der Geschichte, der Erfahrung, der Lehre, die jemand aus dieser Erfahrung zieht, der Perspektive, dem Plan, den jemand aus dieser Erfahrung heraus entwickelt und den er in der neuen Situation ausprobieren möchte usw. Man könnte sagen, die Psyche ist sowohl Produkt der Geschichte als auch Produzent.

Ihr Fachgebiet ist die Psychologie. Sie beobachten aber auch das politische Geschehen aus der Sicht eines kritischen Analysten. Folgt man den Erzählungen aus den großen Medien, ist der Krieg in der Ukraine das Produkt von einem bösen Putin. Eine Vorgeschichte gibt es keine. Wie sehen Sie das?

Ja gewiss, das sind Erzählungen. Und Erzählungen, das hatte ich ja vorhin gesagt, vermitteln auch Orientierungen für das eigene Handeln und Denken, ebenso wie die unmittelbar erlebte Geschichte. Klar ist, dass eine Klasse, die Krieg führen will, entsprechende Erzählungen braucht, um die Bevölkerung in den Krieg führen zu können. Charakteristika solcher Erzählungen sind das Schwarz-Weiß-Denken zwischen bösem anderen und gutem eigenen Herren, das Abschneiden der Vorgeschichte, das erlaubt, die eigene Verantwortung, das eigene Handeln als bloße Reaktion auf die Handlung des anderen, als Verteidigungskrieg darzustellen und die moralische Verurteilung des Angriffskriegs der Gegenseite zuzuschieben.

Sie bereiten für das nächste Jahr einen Kongress vor, Titel: „Krieg und Frieden /Krieg und Kriegsvorbereitung – von einer Katastrophe in die nächste, von einem Krieg in den anderen.“ Warum planen Sie diese Veranstaltung? Halten Sie es für möglich, dass es zu einem großen Krieg kommt?

Wer sich auf den Krieg vorbereitet, der bereitet den Krieg vor. Das sehen wir in der Geschichte, in der von Historikern aufbereiteten Vergangenheit. „Ich will Frieden, und deshalb muss ich mich für den Krieg vorbereiten, darf nicht unvorbereitet sein“, das hat schon Hitler gesagt und vor ihm unzählige andere. Aus der Geschichte lernen, auch das ist ja verboten: Wir dürfen nicht mehr „vergleichen“ – sicher nicht, weil die, die uns das verbieten, darin eine Gleichsetzung sehen.

Und: Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Mehrzahl der Historiker die Geschichte aus der Perspektive der Herren, der herrschenden Klasse darstellen und deshalb – um auf das vorige Thema des Widerstands zurückzukommen – die Erfahrung eher als die Erfahrung von Niederlagen des Widerstands, Verfolgung, Ermordung, Auslöschung aus dem Gedächtnis der Völker anbieten, woraus die entsprechenden Schlussfolgerungen nahegelegt werden, sich nicht auf den Widerstand einzulassen.

Woran machen Sie das denn fest? Was sind Ihre Beobachtungen?

Die Zeichen der Vorbereitung auf den Krieg sind nicht zu übersehen, es ist ja schon fast wie Mobilmachung: Die Waffenproduktion wird aufs Äußerste gepusht, das Klima der Innenpolitik wird extrem in Richtung Militarisierung verschärft, die Zivilgesellschaft auf die Aufgabe der Versorgung der Truppe vorbereitet und gleichzeitig nicht nur die Begründung ununterbrochen dem Publikum eingehämmert: „Die Ukraine muss siegen!“. Sie muss deshalb mit allen Mitteln unterstützt werden – dabei geht es doch nur darum, sie bis zum letzten zu verheizen –, „der Russe“ bzw. „Putin“ steuere mit allen Mitteln auf Annexion der gesamten Ukraine zu, und das nur als Aufmarschgebiet für die Eroberung der anschließenden Länder der ehemaligen Sowjetunion, dagegen muss sogar der Angriffskrieg – „den Krieg nach Russland tragen“ – ins Auge gefasst werden. Gleichzeitig – sozusagen um die Gefährlichkeit dieses Abenteuers wieder zu neutralisieren – wird Russland überwiegend aus der Perspektive seiner Niederlagen vorgestellt und die Ukraine so, als reite sie von einem Sieg zum anderen.

Gibt es weitere Hinweise, anhand derer Sie Vorbereitungen auf einen Krieg deuten können?

Es könnte natürlich alles auch nur Drohgebärde sein, mit der Kalkulation, Russland beende den Krieg, bevor es gewonnen hat, und sei dann zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Allerdings sprechen die jüngsten Zerstörungen von Teilen des russischen Frühwarnsystems eine deutliche Sprache, die vermuten lässt, dass sie ihre skrupellosen Pläne tatsächlich umsetzen wollen.

Welche Mittel gegen diese Entwicklung gibt es? Was können Bürger tun?

Auf der staatlichen Ebene ist tatsächlich noch nicht alles geklärt. Ich denke an die entschiedenen Stellungnahmen der ungarischen und auch der bulgarischen Regierungschefs, zugleich auch an den Mordanschlag am slowakischen Ministerpräsidenten, der zeigt, wie zum Letzten entschieden die Kriegstreiber sind. Das könnte den Widerstand der Bevölkerung stärken und auch den Ernst der Lage klarmachen. Auch die aufsehenerregenden Veröffentlichungen sowohl der Folgen der Corona-Maßnahmenpolitik als auch der skrupellosen Durchsetzung könnten diesen Widerstand zusätzlich unterstützen. Die wichtigste Waffe, die die Bevölkerung hat, ist die Solidarität, der Widerstand gegen die Vereinzelung, die in der neoliberalen Zuspitzung eigentlich den Höhepunkt der Entfremdung erreicht hatte, wie man meinen sollte, der aber noch mal getoppt wurde durch die Corona-Politik und vor allem durch die Abstandsregel, die den anderen zum potenziellen Gefährder, also zum Feind gemacht hatte. Lernen wir doch lieber von der Frauenbewegung: „gemeinsam sind wir unerträglich!“

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[«1] bei „Maischberger“, 26. Februar 2022

[«2] Bundespräsident Gauck am 12. Juni 2012 in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.

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