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Die Goldjungs und die Herstatt-Bank - Eine spektakuläre Pleite mit Folgen

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Die Pleite der Kölner Herstatt Bank war eine der spektakulärsten in der deutschen Geschichte. Tausende Bankkundinnen und Bankkunden verloren Geld. Dabei hatte es so gut angefangen, als die Devisenhändler - intern Goldjungs genannt - begannen, auf Währungen zu wetten. Von Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Friedrich Schuler, Christian Schuler
Technik: Ruth-Maria Ostermann, Lorenz Kersten
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Ulrich Klüh, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt
Christoph Kaserer, Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Technischen Universität München

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Köln, den 27. Juni 1974. Vor der Haupt-Filiale der Herstatt Bank, unweit des Kölner Doms, finden sich ab acht Uhr in der Früh immer mehr Menschen ein. Sie sind aufgebracht, wütend und rufen:

ZITATOR

Halunken, Gauner, Betrüger

SPRECHERIN

Einige versuchen in die Schalterhalle der Bank zu gelangen. Mit aller Kraft stemmen sie sich gegen die Glastür. Vergeblich. Erst zwei Stunden später öffnet sich die Tür. Ein Mann kommt raus, mit einem roten Megaphon in der Hand. Es ist der Generalbevollmächtigte der Bank. Er versucht die Menschen zu beruhigen – und weist gleichzeitig jede Verantwortung von sich. Auch er sei von der „Dany-Dattel-Devisen-Show“ überrollt worden. So zitiert ihn das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Dany wer?

01 O-TON (Klüh)

Dany Dattel – das war durchaus eine schillernde Persönlichkeit.

SPRECHERIN

Sagt der Ökonom Ulrich Klüh. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt.

02 O-TON (Klüh)

Er war also der, der mit seinem Team diese spekulativen Währungsgeschäfte betrieben hat. Dieses Team wurde dann auch in Zeitungen als die Goldjungs beschrieben, weil die haben der Bank in den ersten Jahren dieser Geschäfte sehr, sehr viel Geld eingebracht.

Musik: Financial supermarkets 0‘24

SPRECHERIN

Die Goldjungs waren eine Zeitlang die Stars der Herstatt Bank. Sie wetteten im großen Stil auf Währungen und machten enorme Gewinne. Das war möglich, weil Anfang der 1970er vieles im Umbruch war, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

03 O-TON (Kaserer)

Die 1970er Jahre, also vor allem 71 bis 74, waren eine wirklich schwierige Zeit. Vielleicht in gewisser Weise auch vergleichbar mit dem, was wir heute erleben.

SPRECHERIN

Sagt der Ökonom Christoph Kaserer. Er ist Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Technischen Universität München.

04 O-TON (Kaserer)

Wir hatten massive geopolitische Krisen: den Jom Kippur Krieg im Nahen Osten. Wir hatten immer noch den Vietnamkrieg. Der Jom Kippur Krieg war ja dann auch der Auslöser dafür, dass es dann Ende 73 zum Ersten Ölpreisschock kam und damit ausgelöst eben alle negativen wirtschaftlichen Effekte, also Rezession usw.

SPRECHERIN

Damit endete in der Bundesrepublik eine – in wirtschaftlicher Hinsicht – relativ ruhige Phase, in der so etwas wie Bankenpleiten kaum denkbar waren.

05 O-TON (Klüh)

Es hatte nämlich fast drei Jahrzehnte keine Pleitebank mehr gegeben, in Deutschland und sogar weltweit nicht. Und das lag wiederum daran, dass das Finanzsystem seit dem Zweiten Weltkrieg so aufgebaut war, dass es super stabil war.

SPRECHERIN

Super stabil, vor allem weil es feste Wechselkurse gab.

06 O-TON (Klüh)

Also für eine DM hat man so und so viel Dollar bekommen, für eine Lira hat man so und so viel Franc bekommen.

SPRECHERIN

Das war das sogenannte System von Bretton Woods. Benannt nach dem Städtchen, wo sich die Regierungen 1944 darauf geeinigt hatten.

07 O-TON (Kaserer)

Und das ist eben jetzt mit der Ankündigung von Präsident Nixon, die Goldbindung des Dollars aufzugeben, ins Wanken geraten.

SPRECHERIN

In einer berühmten Fernsehansprache sagte der damalige US-Präsident Richard Nixon:

ZITATOR 2 (Nixon)

Ich habe Finanzminister Conally angewiesen, vorübergehend die Konvertibilität des Dollars in Gold oder andere Reservemittel auszusetzen.

Musik: Dark deeds (A) 0‘17

SPRECHERIN

Das läutete 1971 das Ende von Bretton Woods ein, zwei Jahre später wurde es dann auch formal abgeschafft. Die Folge war, dass die Wechselkurse von da an sehr stark schwankten.

08 O-TON (Kaserer)

Der US-Dollar ist allein im Jahr 1973 vom Höchst- zum Tiefstkurs um mehr als 30 Prozent gefallen. Daran kann man sehen, wie groß die Schwankungen in den Währungen waren.

SPRECHERIN

Und genau hier schlug die Stunde der Goldjungs. Das waren sechs sehr junge Devisenhändler, teilweise erst Anfang 20, die für Herstatt Bank arbeiteten.

09 O-TON (Kaserer)

Die Herstatt-Bank ist das, was man als Privatbank bezeichnet und Iwan Herstatt war dann in der fraglichen Zeit der Geschäftsführer der Bank.

SPRECHERIN

Iwan David Herstatt – genannt Iwan der Große, auch wegen seiner Körperlänge von fast zwei Metern. Er war ein rheinisches Urgestein und bestens vernetzt in der Kölner Gesellschaft.

10 O-TON (Klüh)

Er war so richtig, ich würde sagen, Teil des kölschen Klüngels. Also das ist so ein spannender Seitenaspekt, hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass das so spektakulär war.

Is this together (Quintett) 0‘39

SPRECHERIN

Herstatt war in mehr als 30 Karnevalsgesellschaften und 20 weiteren Vereinen aktiv. Mehr als 20 Jahre lang organisierte er als Schatzmeister die Finanzierung des Kölner Rosenmontagsumzugs. Daneben saß er in zahlreichen Aufsichts- und Beiräten namhafter Unternehmen. Kaum ein Kölner Ereignis fand ohne ihn statt. Sein Netzwerk nutzte er, um Geschäfte zu machen. Von der Stadt Köln über den Kölner Erzbischof bis zum Verleger Alfred Neven-Dumont – sie alle hatten ein Bankkonto beim Iwan dem Großen.

Übernommen hatte er die Bank 1955, für ihn ein Lebenstraum. Das Geld dafür kam unter anderem von seinem Freund Hans Gerling, Eigentümer des gleichnamigen Versicherungskonzerns. Unter Iwan Herstatt entwickelte sich die Bank zur größten Privatbank Deutschlands, mit starkem Fokus auf Außenhandelsgeschäfte. Diese Geschäfte waren der Grund dafür, dass die Devisenhändler, also die Goldjungs, so wichtig waren für die Bank. Denn wenn Unternehmen im Ausland handeln, sichern sie sich oft gegen schwankende Wechselkurse ab.

11 O-TON (Kaserer)

Ein ganz einfaches Beispiel kann man sich wie folgt vorstellen: Angenommen, es gibt einen Exporteur, der hat einen Vertrag abgeschlossen über die Lieferung einer Ware. Er weiß, dass diese Ware in einem oder zwei Monaten bezahlt wird. Er fakturiert in, sagen wir US-Dollar, so dass er also heute nicht genau weiß, was werden dann diese US-Dollar dann wert sein, wenn die Bezahlung der Rechnung erfolgt. Und deswegen geht er zur Bank und vereinbart mit der Bank heute einen festen Wechselkurs für die Dollarzahlung, die erst in einem Monat, dann tatsächlich erfolgt. Das nennt man ein Devisentermingeschäft. Und damit hat er das Wechselkursrisiko vom Unternehmen auf die Bank übertragen. Und die Bank muss natürlich ihrerseits dann sich überlegen, ob sie selber dieses Wechselkursrisiko trägt oder ob sie sich wiederum entsprechend dagegen absichert.

SPRECHERIN

Zum Beispiel indem sie ihrerseits ein Devisentermingeschäft mit einer Bank abschließt. Diese Geschäfte nahmen mit dem Ende von Bretton Woods stark zu, nicht nur bei Herstatt, sondern bei den meisten Banken. Aber die Goldjungs waren dennoch etwas Besonderes. Das lag auch an Dany Dattel, Chef der Devisenabteilung.

12 O-TON (Klüh)

Er hatte auch ein spannendes Team, und hat mit diesem Team mit modernsten Computern gearbeitet. Das war alles sehr futuristisch und das hat die Leute fasziniert.

Musik: Ballet 0‘45

Atmo Computer

SPRECHERIN

„Raumstation Orion“ nannte man die Handelsräume der Goldjungs, nach der gleichnamigen Science-Fiction-Serie, die damals populär war. Sie telefonierten mit New York, machten Geschäfte mit London, schoben per Knopfdruck Millionen hin und her. Die Kölner Herstatt Bank war Teil der schillernden Finanzwelt und korrespondierte mit der Chase Manhattan genauso wie mit der sowjetischen Narodny Bank. Ein aufregendes Geschäft, das so ganz anders war als die traditionellen Bankgeschäfte, die bald als langweilig, als „boring“ galten.

13 O-TON (Klüh)

Es ist einfach so, dass bis in die 60er Jahre hinein Banken, vor allem in Deutschland, aber auch weltweit, sich beschränkt haben auf ganz einfache Geschäfte, langweilige Geschäfte. Deswegen Boring Banking. Sie haben die Ersparnisse von Leuten verwaltet auf der einen Seite, und andererseits haben sie Kredite vergeben an die lokale Wirtschaft. Und es war ein relativ einfaches Geschäft, weil die Zinsen auch oft vom Staat festgelegt wurden.

SPRECHERIN

Ganz anders beim Währungshandel. Hier setzte man zum Beispiel darauf, dass der Dollar steigt oder fällt. Und weil das wegen der starken Schwankungen zunächst große Gewinne abwarf, spekulierten in der Herstatt Bank bald alle mit.

14 O-TON (Kaserer)

Was dann in der Bank passierte, ist, dass man offensichtlich im ersten Schritt sich nicht mehr vollständig gegen diese Dollargeschäfte, die man mit Kunden gemacht hat, abgesichert hat, aber darüber hinaus wohl dann auch angefangen hat, unabhängig von Kundengeschäften, Eigenhandel zu betreiben und gegen den Dollar sozusagen zu spekulieren.

SPRECHERIN

Rückblickend läuteten diese neuartigen Finanzgeschäfte eine neue Epoche ein, sagt Ulrich Klüh.

15 O-TON (Klüh)

Mit der Möglichkeit zu spekulieren, ist das Bankwesen ganz anders geworden. Nicht nur das Bankwesen, sondern das Finanzwesen insgesamt. Man kann sogar sagen, dass sich eine ganz neue Art von Kapitalismus entwickelt hat. Dass der Kapitalismus bis Anfang der 70er Jahre ein langweiliger, auf die Realwirtschaft, auf die normalen Unternehmen fokussierter Kapitalismus war, der Kapitalismus seit Anfang der 70er Jahre sich immer mehr zu einem Finanzmarktkapitalismus entwickelt hat. Und damit ist dann auch eine Abkehr vom langweiligen Banking verbunden. Die Banken machen ganz andere Sachen. Sie engagieren sich mit neuen Finanzprodukten, die sehr viel riskanter sind insbesondere.

Musik: Dry and neutral (reduziert) 0‘45

Financial supermarkets 0‘8

SPRECHERIN

Wobei es auch damals schon Menschen gab, die vor den hohen Risiken dieser Geschäfte warnten. Zum Beispiel die internen Revisoren der Herstatt Bank. Aber so lange die Goldjungs Gewinne machten, wurden die Warnungen beiseite gewischt. Kritiker galten auf der Raumstation Orion als Spielverderber. Die Währungs-Party war wohl einfach zu schön. Aber irgendwann ging es dann eben schief. Die Goldjungs verspekulierten sich. Sie setzten auf einen steigenden Dollar, aber er fiel – es kam zu großen Verlusten. Wann genau wie viele Schulden aufliefen, ist nicht ganz klar, denn nicht alle Verluste wurden ordnungsgemäß in der Bilanz ausgewiesen. Christoph Kaserer:

16 O-TON (Kaserer)

Von den Jahren 71 bis 73 hat die Devisenabteilung erhebliche Gewinne erwirtschaftet. Wobei im Nachhinein man davon ausgehen muss, dass die Gewinne von 1973 eigentlich keine Gewinne waren, sondern die wurden sozusagen fingiert. Bestimmte Geschäfte sind nicht verbucht worden. Und wären diese Geschäfte ordnungsgemäß verbucht worden, dann wäre vermutlich – weiß man jetzt nicht ganz genau – aber man kann davon ausgehen, dass man wahrscheinlich schon 1973 Verluste erzielt hätte.

SPRECHERIN

Gerüchte machten die Runde. Denn auch den Währungshändlern der anderen Banken fiel auf, wie hoch der Einsatz der Goldjungs war. Das wurde auch der deutschen Aufsicht zugetragen.

17 O-TON (Klüh)

Die Bundesbank hatte tatsächlich schon relativ früh gesteckt bekommen, und zwar aus London, dass da ihre Kölner Bank ein ziemlich großes Rad dreht und große Risiken eingeht. Aber die Bundesbank und die Bankenaufsicht, die waren nicht in der Lage, diese Informationen zu verwerten und dann einzugreifen.

Musik: Wrong 0‘16

SPRECHERIN

Misstrauen breitete sich in der Bankenbranche aus. Weil nicht klar war, wie es um Herstatt steht, reduzierten andere Banken ihre Geschäfte mit den Kölnern. Dadurch verschlechterte sich deren Lage weiter.

18 O-TON (Kaserer)

Das war letztlich sozusagen der letzte Auslöser für die Pleite –, dass sich die anderen Banken geweigert haben, mit Herstatt so Kursabsicherungsgeschäfte abzuschließen. So dass also Herstatt sich gar nicht mehr von diesen Risiken lösen konnte, weil sie keine Partner mehr gefunden haben, die ihnen diese Devisenrisiken abgenommen haben.

SPRECHERIN

Mitte Juni meldete Herstatt einen Verlust von rund einer halben Milliarde D-Mark – ein Vielfaches des Eigenkapitals der Bank. In den folgenden Tagen versuchte Bundesbank-Chef Karl Klasen eine Rettung zu organisieren. Es gab Gespräche mit Vertretern des Gerling-Konzerns und auch mit den Großbanken, der Dresdner, der Deutschen und der Commerzbank. Ohne Erfolg.

19 O-TON (Kaserer)

Niemand war dann bereit, diese Bank zu retten. Und auch Gerling konnte das nicht mehr bewerkstelligen. Dann war es zu spät und das war dann der Auslöser dafür, dass es gar keinen anderen Weg mehr gegeben hat, als die Bank zu schließen.

Musik: Secret proofs red. 0‘43

SPRECHERIN

Am 26. Juni 1974 entzog die damalige Aufsicht, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, Herstatt die Banklizenz. Die Bank musste alle Zahlungen einstellen. Wer konnte, brachte vorher noch schnell sein Geld in Sicherheit. Darunter waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Herstatt, aber auch andere Banken, die Wind von der Schließung bekommen hatten, wie die Chase Manhattan. Die meisten Sparerinnen und Sparer standen am nächsten Morgen allerdings vor verschlossenen Türen.

20 O-TON (Kaserer)

Die Privatkunden waren natürlich die letzten, die dann reagiert haben. Dann war es auch schon zu spät.

Musik: Z8037260119 Incorrectness 0‘ 24

Atmo: Menge

SPRECHERIN

Vor mehreren Filialen von Herstatt gab es Tumulte.

21 O-TON (Kaserer)

Zunächst mal gibt es Panik, weil niemand weiß, wie viel Geld kriegt er zurück. Und wenn natürlich die Menschen dann auf der Straße stehen und versuchen in die Bank zu kommen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen, hat das natürlich eine politische Dimension.

SPRECHERIN

Eine aufgeregte politische Debatte folgte – und natürlich kam die Frage auf: Wer ist schuld an der Pleite? Iwan Herstatt schob auf einer Pressekonferenz Anfang Juli jede Verantwortung von sich. Er habe von den enormen Summen, mit denen spekuliert wurde, nichts gewusst.

22 O-TON (Iwan Herstatt)

Ich bekam jeden Abend die Tagesmeldung und da interessierte ich mich dafür, wie der Saldo war. Der war niemals höher als 25 Millionen. Das war also alles in Ordnung.

SPRECHERIN

Über viele Monate gab es eine öffentliche Schlammschlacht mit Schuldzuweisungen und Verleumdungen. Dabei ging es auch darum, wer Entschädigungen zahlen muss. Das wurde auch im Bonner Bundestag diskutiert. Dort meinte der Unionspolitiker Rudolf Sprung:

ZITATOR

In diesem traurigen Fall (…) hat sich keiner der Beteiligten, weder die Bundesbank, noch das Bundesaufsichtsamt, noch die Großbanken, noch die Großgläubiger, mit Ruhm bekleckert. Geradezu als skandalös aber muß das Verhalten, Finassieren und Taktieren des Aufsichtsratsvorsitzenden und Mehrheitsaktionärs des Instituts, Hans Gerling, bezeichnet werden.

Musik: Serious affair red. 0‘39

SPRECHERIN

Gerling war mit mehr als 80 Prozent der Anteile Hauptaktionär der Herstatt Bank. Allerdings verwies Gerling auf die Verantwortung der Großbanken, die seiner Meinung nach bei der Rettung von Herstatt versagt hätten. Die Großbanken hielten dagegen und meinten, dass Gerling die Sparerinnen und Sparer entschädigen müsse. Jürgen Ponto, damals Vorstandssprecher der Dresdner Bank, ließ sich im „Spiegel“ mit den Worten zitieren:

ZITATOR 2

Zur Not muss Frau Gerling ihren Schmuck verkaufen.

SPRECHERIN

Viele zeigten damals aber auch auf Dany Dattel, schließlich war er der Chef der Goldjungs.

23 O-TON (Klüh)

Wovor man warnen muss, ist, das zu tun, was dann nach der Krise häufig passiert ist, ihm die ganze Schuld an der Krise zuzuschreiben. Es war nämlich so, dass diese Krise durchaus auch Konsequenz war des Drucks, der von der Geschäftsleitung und von den Eignern der Bank ausging, wirklich viel zu spekulieren und Gewinn zu machen in diesen Bereichen. So eine Krise ist immer ein System-Versagen. Eine Krise ist nie nur die Verantwortung eines Einzelnen. Zum System gehören hier die Chefs vom Dany Dattel, die Eigner der Bank, auch die Aufsicht, die eben nicht genug aufgepasst hat und nicht stark genug interveniert hat.

SPRECHERIN

Weshalb es nach der Herstatt Pleite eine ganze Reihe von rechtlichen und organisatorischen Änderungen in der Bankenbranche gab. Zum Beispiel ist das Kreditwesengesetz verschärft worden. Und auch für die privaten Sparer und Sparerinnen änderte sich etwas Grundlegendes.

24 O-TON (Kaserer)

Das Allerwichtigste ist, dass es dann 1975 zur Einführung einer allgemeinen Einlagensicherung kam, die es ja bis heute noch gibt. Das ist die Einlagensicherung der Privatbanken.

SPRECHERIN

Bis 100.000 Euro sind heute alle Spar-Guthaben geschützt. Zur Zeit der Herstatt Pleite gab es lediglich den sogenannten Feuerwehrfonds.

25 O-TON (Kaserer)

Das war eine Art freiwillige Einlagenversicherung, die Bankeinlagen bis zu 20.000 D-Mark abgesichert hat. Also bis dorthin gab es gar keine Verluste.

SPRECHERIN

Wer mehr als 20.000 D-Mark bei Herstatt auf dem Sparkonto hatte, musste allerdings Abstriche machen.

26 O-TON (Kaserer)

Im Großen kann man sagen, dass die Sparer etwas über 80 Prozent ihrer Gelder wiederbekommen haben. Und bei den Banken und Kommunen waren es etwas über 70 Prozent.

Musik: Obscure intrigue 0‘35

SPRECHERIN

Das Geld, das an die Gläubiger verteilt wurde, stammte aus mehreren Quellen: dem restlichen Vermögen der Herstatt Bank, dem privaten Vermögen von Iwan Herstatt – er war persönlich haftender Gesellschafter – und von Hans Gerling, der dafür – nein, nicht den Schmuck seiner Frau –, sondern 51 Prozent der Anteile seiner Versicherungs-Holding verkaufte.

Daneben gab es eine Reihe von Gerichtsprozessen. Bis 2006, also 22 Jahre nach der eigentlichen Pleite, zogen sie sich hin. Warum so lange?

27 O-TON (Kaserer)

Ein Grund war auch die Tatsache, dass das die Gläubiger, insbesondere die Sparer, auch noch versucht haben, die Bundesrepublik Deutschland, also die Aufsichtsbehörde letztlich, in die Haftung zu nehmen, was dann eben nicht gelungen ist. Aber schon allein das war ein Gerichtsverfahren, das sich viele Jahre hingezogen hat.

Musik: Still waiting red. 0‘52

SPRECHERIN

Daneben wurde Dany Dattel und Iwan Herstatt persönlich der Prozess gemacht. Wobei Dany Dattel schnell für schuldunfähig erklärt wurde. Er war als Kind im Vernichtungslager Auschwitz und litt seitdem unter dem sogenannten KZ-Syndrom, das mit schweren posttraumatischen Störungen verbunden ist. Iwan Herstatt wurde zunächst zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde allerdings wieder aufgehoben und in zwei Jahre Haft auf Bewährung umgewandelt. Ein Grund für die mildere Strafe war, dass er unter dem sogenannten Pickwick-Syndrom litt. Betroffene dieses Syndroms haben schwerwiegende Probleme mit der Atmung, was unter anderem zur Folge hat, dass sie plötzlich einschlafen.

Das alles wurde in der damaligen Öffentlichkeit breit diskutiert und kommentiert. Weitgehend ausgeblendet wurde in der Debatte, dass es auch in anderen Ländern Banken-Pleiten gab.

28 O-TON (Klüh)

Wir in Deutschland denken immer, es war die Herstatt-Krise, aber in Wirklichkeit war es die erste globale Bankenkrise. Es war so, dass überall spekuliert wurde auf einmal und überall die Aufsicht darauf nicht vorbereitet waren und überall nicht genug Regulierung war, und eben dieser Switch von der einen Art des Kapitalismus zur neuen Art des Kapitalismus mit einer Krise einherging.

SPRECHERIN

Aber so dramatisch die Herstatt-Pleite damals auch war – aus heutiger Sicht bot sie nur einen Vorgeschmack auf das, was danach kam.

29 O-TON (Klüh)

Ich würde sagen, das sind Vorboten dessen, was dann später in viel größerem Umfang passiert ist. Die ist sozusagen der Beginn einer Entwicklung, wo dann immer mehr dereguliert wird, immer mehr Abkehr vom Boring Banking passiert, immer mehr Finanzmarktkapitalismus gemacht wird. Und insofern ist es so ein Vorbote. Danach, über mehrere Jahrzehnte, wird das weiter intensiviert und das Ganze kulminiert dann, hat seinen Höhepunkt in der Krise von 2008, die dann das Ende erstmal darstellt dieser verrückten Phase des Finanzmarktkapitalismus. Den haben wir zwar immer noch nicht ganz überwunden, aber danach wurde das System wieder stärker reguliert.

Musik: Media rumors 0‘26

SPRECHERIN

Weshalb man am Ende festhalten kann: Die Pleite der Herstatt-Bank war zwar die erste in der Geschichte der Bundesrepublik – aber noch lange nicht die letzte.


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Die Pleite der Kölner Herstatt Bank war eine der spektakulärsten in der deutschen Geschichte. Tausende Bankkundinnen und Bankkunden verloren Geld. Dabei hatte es so gut angefangen, als die Devisenhändler - intern Goldjungs genannt - begannen, auf Währungen zu wetten. Von Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Friedrich Schuler, Christian Schuler
Technik: Ruth-Maria Ostermann, Lorenz Kersten
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Ulrich Klüh, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt
Christoph Kaserer, Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Technischen Universität München

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SPRECHERIN

Köln, den 27. Juni 1974. Vor der Haupt-Filiale der Herstatt Bank, unweit des Kölner Doms, finden sich ab acht Uhr in der Früh immer mehr Menschen ein. Sie sind aufgebracht, wütend und rufen:

ZITATOR

Halunken, Gauner, Betrüger

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Einige versuchen in die Schalterhalle der Bank zu gelangen. Mit aller Kraft stemmen sie sich gegen die Glastür. Vergeblich. Erst zwei Stunden später öffnet sich die Tür. Ein Mann kommt raus, mit einem roten Megaphon in der Hand. Es ist der Generalbevollmächtigte der Bank. Er versucht die Menschen zu beruhigen – und weist gleichzeitig jede Verantwortung von sich. Auch er sei von der „Dany-Dattel-Devisen-Show“ überrollt worden. So zitiert ihn das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Dany wer?

01 O-TON (Klüh)

Dany Dattel – das war durchaus eine schillernde Persönlichkeit.

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Sagt der Ökonom Ulrich Klüh. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt.

02 O-TON (Klüh)

Er war also der, der mit seinem Team diese spekulativen Währungsgeschäfte betrieben hat. Dieses Team wurde dann auch in Zeitungen als die Goldjungs beschrieben, weil die haben der Bank in den ersten Jahren dieser Geschäfte sehr, sehr viel Geld eingebracht.

Musik: Financial supermarkets 0‘24

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Die Goldjungs waren eine Zeitlang die Stars der Herstatt Bank. Sie wetteten im großen Stil auf Währungen und machten enorme Gewinne. Das war möglich, weil Anfang der 1970er vieles im Umbruch war, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

03 O-TON (Kaserer)

Die 1970er Jahre, also vor allem 71 bis 74, waren eine wirklich schwierige Zeit. Vielleicht in gewisser Weise auch vergleichbar mit dem, was wir heute erleben.

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Sagt der Ökonom Christoph Kaserer. Er ist Professor für Finanzmanagement und Kapitalmärkte an der Technischen Universität München.

04 O-TON (Kaserer)

Wir hatten massive geopolitische Krisen: den Jom Kippur Krieg im Nahen Osten. Wir hatten immer noch den Vietnamkrieg. Der Jom Kippur Krieg war ja dann auch der Auslöser dafür, dass es dann Ende 73 zum Ersten Ölpreisschock kam und damit ausgelöst eben alle negativen wirtschaftlichen Effekte, also Rezession usw.

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Damit endete in der Bundesrepublik eine – in wirtschaftlicher Hinsicht – relativ ruhige Phase, in der so etwas wie Bankenpleiten kaum denkbar waren.

05 O-TON (Klüh)

Es hatte nämlich fast drei Jahrzehnte keine Pleitebank mehr gegeben, in Deutschland und sogar weltweit nicht. Und das lag wiederum daran, dass das Finanzsystem seit dem Zweiten Weltkrieg so aufgebaut war, dass es super stabil war.

SPRECHERIN

Super stabil, vor allem weil es feste Wechselkurse gab.

06 O-TON (Klüh)

Also für eine DM hat man so und so viel Dollar bekommen, für eine Lira hat man so und so viel Franc bekommen.

SPRECHERIN

Das war das sogenannte System von Bretton Woods. Benannt nach dem Städtchen, wo sich die Regierungen 1944 darauf geeinigt hatten.

07 O-TON (Kaserer)

Und das ist eben jetzt mit der Ankündigung von Präsident Nixon, die Goldbindung des Dollars aufzugeben, ins Wanken geraten.

SPRECHERIN

In einer berühmten Fernsehansprache sagte der damalige US-Präsident Richard Nixon:

ZITATOR 2 (Nixon)

Ich habe Finanzminister Conally angewiesen, vorübergehend die Konvertibilität des Dollars in Gold oder andere Reservemittel auszusetzen.

Musik: Dark deeds (A) 0‘17

SPRECHERIN

Das läutete 1971 das Ende von Bretton Woods ein, zwei Jahre später wurde es dann auch formal abgeschafft. Die Folge war, dass die Wechselkurse von da an sehr stark schwankten.

08 O-TON (Kaserer)

Der US-Dollar ist allein im Jahr 1973 vom Höchst- zum Tiefstkurs um mehr als 30 Prozent gefallen. Daran kann man sehen, wie groß die Schwankungen in den Währungen waren.

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Und genau hier schlug die Stunde der Goldjungs. Das waren sechs sehr junge Devisenhändler, teilweise erst Anfang 20, die für Herstatt Bank arbeiteten.

09 O-TON (Kaserer)

Die Herstatt-Bank ist das, was man als Privatbank bezeichnet und Iwan Herstatt war dann in der fraglichen Zeit der Geschäftsführer der Bank.

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Iwan David Herstatt – genannt Iwan der Große, auch wegen seiner Körperlänge von fast zwei Metern. Er war ein rheinisches Urgestein und bestens vernetzt in der Kölner Gesellschaft.

10 O-TON (Klüh)

Er war so richtig, ich würde sagen, Teil des kölschen Klüngels. Also das ist so ein spannender Seitenaspekt, hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass das so spektakulär war.

Is this together (Quintett) 0‘39

SPRECHERIN

Herstatt war in mehr als 30 Karnevalsgesellschaften und 20 weiteren Vereinen aktiv. Mehr als 20 Jahre lang organisierte er als Schatzmeister die Finanzierung des Kölner Rosenmontagsumzugs. Daneben saß er in zahlreichen Aufsichts- und Beiräten namhafter Unternehmen. Kaum ein Kölner Ereignis fand ohne ihn statt. Sein Netzwerk nutzte er, um Geschäfte zu machen. Von der Stadt Köln über den Kölner Erzbischof bis zum Verleger Alfred Neven-Dumont – sie alle hatten ein Bankkonto beim Iwan dem Großen.

Übernommen hatte er die Bank 1955, für ihn ein Lebenstraum. Das Geld dafür kam unter anderem von seinem Freund Hans Gerling, Eigentümer des gleichnamigen Versicherungskonzerns. Unter Iwan Herstatt entwickelte sich die Bank zur größten Privatbank Deutschlands, mit starkem Fokus auf Außenhandelsgeschäfte. Diese Geschäfte waren der Grund dafür, dass die Devisenhändler, also die Goldjungs, so wichtig waren für die Bank. Denn wenn Unternehmen im Ausland handeln, sichern sie sich oft gegen schwankende Wechselkurse ab.

11 O-TON (Kaserer)

Ein ganz einfaches Beispiel kann man sich wie folgt vorstellen: Angenommen, es gibt einen Exporteur, der hat einen Vertrag abgeschlossen über die Lieferung einer Ware. Er weiß, dass diese Ware in einem oder zwei Monaten bezahlt wird. Er fakturiert in, sagen wir US-Dollar, so dass er also heute nicht genau weiß, was werden dann diese US-Dollar dann wert sein, wenn die Bezahlung der Rechnung erfolgt. Und deswegen geht er zur Bank und vereinbart mit der Bank heute einen festen Wechselkurs für die Dollarzahlung, die erst in einem Monat, dann tatsächlich erfolgt. Das nennt man ein Devisentermingeschäft. Und damit hat er das Wechselkursrisiko vom Unternehmen auf die Bank übertragen. Und die Bank muss natürlich ihrerseits dann sich überlegen, ob sie selber dieses Wechselkursrisiko trägt oder ob sie sich wiederum entsprechend dagegen absichert.

SPRECHERIN

Zum Beispiel indem sie ihrerseits ein Devisentermingeschäft mit einer Bank abschließt. Diese Geschäfte nahmen mit dem Ende von Bretton Woods stark zu, nicht nur bei Herstatt, sondern bei den meisten Banken. Aber die Goldjungs waren dennoch etwas Besonderes. Das lag auch an Dany Dattel, Chef der Devisenabteilung.

12 O-TON (Klüh)

Er hatte auch ein spannendes Team, und hat mit diesem Team mit modernsten Computern gearbeitet. Das war alles sehr futuristisch und das hat die Leute fasziniert.

Musik: Ballet 0‘45

Atmo Computer

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„Raumstation Orion“ nannte man die Handelsräume der Goldjungs, nach der gleichnamigen Science-Fiction-Serie, die damals populär war. Sie telefonierten mit New York, machten Geschäfte mit London, schoben per Knopfdruck Millionen hin und her. Die Kölner Herstatt Bank war Teil der schillernden Finanzwelt und korrespondierte mit der Chase Manhattan genauso wie mit der sowjetischen Narodny Bank. Ein aufregendes Geschäft, das so ganz anders war als die traditionellen Bankgeschäfte, die bald als langweilig, als „boring“ galten.

13 O-TON (Klüh)

Es ist einfach so, dass bis in die 60er Jahre hinein Banken, vor allem in Deutschland, aber auch weltweit, sich beschränkt haben auf ganz einfache Geschäfte, langweilige Geschäfte. Deswegen Boring Banking. Sie haben die Ersparnisse von Leuten verwaltet auf der einen Seite, und andererseits haben sie Kredite vergeben an die lokale Wirtschaft. Und es war ein relativ einfaches Geschäft, weil die Zinsen auch oft vom Staat festgelegt wurden.

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Ganz anders beim Währungshandel. Hier setzte man zum Beispiel darauf, dass der Dollar steigt oder fällt. Und weil das wegen der starken Schwankungen zunächst große Gewinne abwarf, spekulierten in der Herstatt Bank bald alle mit.

14 O-TON (Kaserer)

Was dann in der Bank passierte, ist, dass man offensichtlich im ersten Schritt sich nicht mehr vollständig gegen diese Dollargeschäfte, die man mit Kunden gemacht hat, abgesichert hat, aber darüber hinaus wohl dann auch angefangen hat, unabhängig von Kundengeschäften, Eigenhandel zu betreiben und gegen den Dollar sozusagen zu spekulieren.

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Rückblickend läuteten diese neuartigen Finanzgeschäfte eine neue Epoche ein, sagt Ulrich Klüh.

15 O-TON (Klüh)

Mit der Möglichkeit zu spekulieren, ist das Bankwesen ganz anders geworden. Nicht nur das Bankwesen, sondern das Finanzwesen insgesamt. Man kann sogar sagen, dass sich eine ganz neue Art von Kapitalismus entwickelt hat. Dass der Kapitalismus bis Anfang der 70er Jahre ein langweiliger, auf die Realwirtschaft, auf die normalen Unternehmen fokussierter Kapitalismus war, der Kapitalismus seit Anfang der 70er Jahre sich immer mehr zu einem Finanzmarktkapitalismus entwickelt hat. Und damit ist dann auch eine Abkehr vom langweiligen Banking verbunden. Die Banken machen ganz andere Sachen. Sie engagieren sich mit neuen Finanzprodukten, die sehr viel riskanter sind insbesondere.

Musik: Dry and neutral (reduziert) 0‘45

Financial supermarkets 0‘8

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Wobei es auch damals schon Menschen gab, die vor den hohen Risiken dieser Geschäfte warnten. Zum Beispiel die internen Revisoren der Herstatt Bank. Aber so lange die Goldjungs Gewinne machten, wurden die Warnungen beiseite gewischt. Kritiker galten auf der Raumstation Orion als Spielverderber. Die Währungs-Party war wohl einfach zu schön. Aber irgendwann ging es dann eben schief. Die Goldjungs verspekulierten sich. Sie setzten auf einen steigenden Dollar, aber er fiel – es kam zu großen Verlusten. Wann genau wie viele Schulden aufliefen, ist nicht ganz klar, denn nicht alle Verluste wurden ordnungsgemäß in der Bilanz ausgewiesen. Christoph Kaserer:

16 O-TON (Kaserer)

Von den Jahren 71 bis 73 hat die Devisenabteilung erhebliche Gewinne erwirtschaftet. Wobei im Nachhinein man davon ausgehen muss, dass die Gewinne von 1973 eigentlich keine Gewinne waren, sondern die wurden sozusagen fingiert. Bestimmte Geschäfte sind nicht verbucht worden. Und wären diese Geschäfte ordnungsgemäß verbucht worden, dann wäre vermutlich – weiß man jetzt nicht ganz genau – aber man kann davon ausgehen, dass man wahrscheinlich schon 1973 Verluste erzielt hätte.

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Gerüchte machten die Runde. Denn auch den Währungshändlern der anderen Banken fiel auf, wie hoch der Einsatz der Goldjungs war. Das wurde auch der deutschen Aufsicht zugetragen.

17 O-TON (Klüh)

Die Bundesbank hatte tatsächlich schon relativ früh gesteckt bekommen, und zwar aus London, dass da ihre Kölner Bank ein ziemlich großes Rad dreht und große Risiken eingeht. Aber die Bundesbank und die Bankenaufsicht, die waren nicht in der Lage, diese Informationen zu verwerten und dann einzugreifen.

Musik: Wrong 0‘16

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Misstrauen breitete sich in der Bankenbranche aus. Weil nicht klar war, wie es um Herstatt steht, reduzierten andere Banken ihre Geschäfte mit den Kölnern. Dadurch verschlechterte sich deren Lage weiter.

18 O-TON (Kaserer)

Das war letztlich sozusagen der letzte Auslöser für die Pleite –, dass sich die anderen Banken geweigert haben, mit Herstatt so Kursabsicherungsgeschäfte abzuschließen. So dass also Herstatt sich gar nicht mehr von diesen Risiken lösen konnte, weil sie keine Partner mehr gefunden haben, die ihnen diese Devisenrisiken abgenommen haben.

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Mitte Juni meldete Herstatt einen Verlust von rund einer halben Milliarde D-Mark – ein Vielfaches des Eigenkapitals der Bank. In den folgenden Tagen versuchte Bundesbank-Chef Karl Klasen eine Rettung zu organisieren. Es gab Gespräche mit Vertretern des Gerling-Konzerns und auch mit den Großbanken, der Dresdner, der Deutschen und der Commerzbank. Ohne Erfolg.

19 O-TON (Kaserer)

Niemand war dann bereit, diese Bank zu retten. Und auch Gerling konnte das nicht mehr bewerkstelligen. Dann war es zu spät und das war dann der Auslöser dafür, dass es gar keinen anderen Weg mehr gegeben hat, als die Bank zu schließen.

Musik: Secret proofs red. 0‘43

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Am 26. Juni 1974 entzog die damalige Aufsicht, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, Herstatt die Banklizenz. Die Bank musste alle Zahlungen einstellen. Wer konnte, brachte vorher noch schnell sein Geld in Sicherheit. Darunter waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Herstatt, aber auch andere Banken, die Wind von der Schließung bekommen hatten, wie die Chase Manhattan. Die meisten Sparerinnen und Sparer standen am nächsten Morgen allerdings vor verschlossenen Türen.

20 O-TON (Kaserer)

Die Privatkunden waren natürlich die letzten, die dann reagiert haben. Dann war es auch schon zu spät.

Musik: Z8037260119 Incorrectness 0‘ 24

Atmo: Menge

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Vor mehreren Filialen von Herstatt gab es Tumulte.

21 O-TON (Kaserer)

Zunächst mal gibt es Panik, weil niemand weiß, wie viel Geld kriegt er zurück. Und wenn natürlich die Menschen dann auf der Straße stehen und versuchen in die Bank zu kommen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen, hat das natürlich eine politische Dimension.

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Eine aufgeregte politische Debatte folgte – und natürlich kam die Frage auf: Wer ist schuld an der Pleite? Iwan Herstatt schob auf einer Pressekonferenz Anfang Juli jede Verantwortung von sich. Er habe von den enormen Summen, mit denen spekuliert wurde, nichts gewusst.

22 O-TON (Iwan Herstatt)

Ich bekam jeden Abend die Tagesmeldung und da interessierte ich mich dafür, wie der Saldo war. Der war niemals höher als 25 Millionen. Das war also alles in Ordnung.

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Über viele Monate gab es eine öffentliche Schlammschlacht mit Schuldzuweisungen und Verleumdungen. Dabei ging es auch darum, wer Entschädigungen zahlen muss. Das wurde auch im Bonner Bundestag diskutiert. Dort meinte der Unionspolitiker Rudolf Sprung:

ZITATOR

In diesem traurigen Fall (…) hat sich keiner der Beteiligten, weder die Bundesbank, noch das Bundesaufsichtsamt, noch die Großbanken, noch die Großgläubiger, mit Ruhm bekleckert. Geradezu als skandalös aber muß das Verhalten, Finassieren und Taktieren des Aufsichtsratsvorsitzenden und Mehrheitsaktionärs des Instituts, Hans Gerling, bezeichnet werden.

Musik: Serious affair red. 0‘39

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Gerling war mit mehr als 80 Prozent der Anteile Hauptaktionär der Herstatt Bank. Allerdings verwies Gerling auf die Verantwortung der Großbanken, die seiner Meinung nach bei der Rettung von Herstatt versagt hätten. Die Großbanken hielten dagegen und meinten, dass Gerling die Sparerinnen und Sparer entschädigen müsse. Jürgen Ponto, damals Vorstandssprecher der Dresdner Bank, ließ sich im „Spiegel“ mit den Worten zitieren:

ZITATOR 2

Zur Not muss Frau Gerling ihren Schmuck verkaufen.

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Viele zeigten damals aber auch auf Dany Dattel, schließlich war er der Chef der Goldjungs.

23 O-TON (Klüh)

Wovor man warnen muss, ist, das zu tun, was dann nach der Krise häufig passiert ist, ihm die ganze Schuld an der Krise zuzuschreiben. Es war nämlich so, dass diese Krise durchaus auch Konsequenz war des Drucks, der von der Geschäftsleitung und von den Eignern der Bank ausging, wirklich viel zu spekulieren und Gewinn zu machen in diesen Bereichen. So eine Krise ist immer ein System-Versagen. Eine Krise ist nie nur die Verantwortung eines Einzelnen. Zum System gehören hier die Chefs vom Dany Dattel, die Eigner der Bank, auch die Aufsicht, die eben nicht genug aufgepasst hat und nicht stark genug interveniert hat.

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Weshalb es nach der Herstatt Pleite eine ganze Reihe von rechtlichen und organisatorischen Änderungen in der Bankenbranche gab. Zum Beispiel ist das Kreditwesengesetz verschärft worden. Und auch für die privaten Sparer und Sparerinnen änderte sich etwas Grundlegendes.

24 O-TON (Kaserer)

Das Allerwichtigste ist, dass es dann 1975 zur Einführung einer allgemeinen Einlagensicherung kam, die es ja bis heute noch gibt. Das ist die Einlagensicherung der Privatbanken.

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Bis 100.000 Euro sind heute alle Spar-Guthaben geschützt. Zur Zeit der Herstatt Pleite gab es lediglich den sogenannten Feuerwehrfonds.

25 O-TON (Kaserer)

Das war eine Art freiwillige Einlagenversicherung, die Bankeinlagen bis zu 20.000 D-Mark abgesichert hat. Also bis dorthin gab es gar keine Verluste.

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Wer mehr als 20.000 D-Mark bei Herstatt auf dem Sparkonto hatte, musste allerdings Abstriche machen.

26 O-TON (Kaserer)

Im Großen kann man sagen, dass die Sparer etwas über 80 Prozent ihrer Gelder wiederbekommen haben. Und bei den Banken und Kommunen waren es etwas über 70 Prozent.

Musik: Obscure intrigue 0‘35

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Das Geld, das an die Gläubiger verteilt wurde, stammte aus mehreren Quellen: dem restlichen Vermögen der Herstatt Bank, dem privaten Vermögen von Iwan Herstatt – er war persönlich haftender Gesellschafter – und von Hans Gerling, der dafür – nein, nicht den Schmuck seiner Frau –, sondern 51 Prozent der Anteile seiner Versicherungs-Holding verkaufte.

Daneben gab es eine Reihe von Gerichtsprozessen. Bis 2006, also 22 Jahre nach der eigentlichen Pleite, zogen sie sich hin. Warum so lange?

27 O-TON (Kaserer)

Ein Grund war auch die Tatsache, dass das die Gläubiger, insbesondere die Sparer, auch noch versucht haben, die Bundesrepublik Deutschland, also die Aufsichtsbehörde letztlich, in die Haftung zu nehmen, was dann eben nicht gelungen ist. Aber schon allein das war ein Gerichtsverfahren, das sich viele Jahre hingezogen hat.

Musik: Still waiting red. 0‘52

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Daneben wurde Dany Dattel und Iwan Herstatt persönlich der Prozess gemacht. Wobei Dany Dattel schnell für schuldunfähig erklärt wurde. Er war als Kind im Vernichtungslager Auschwitz und litt seitdem unter dem sogenannten KZ-Syndrom, das mit schweren posttraumatischen Störungen verbunden ist. Iwan Herstatt wurde zunächst zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde allerdings wieder aufgehoben und in zwei Jahre Haft auf Bewährung umgewandelt. Ein Grund für die mildere Strafe war, dass er unter dem sogenannten Pickwick-Syndrom litt. Betroffene dieses Syndroms haben schwerwiegende Probleme mit der Atmung, was unter anderem zur Folge hat, dass sie plötzlich einschlafen.

Das alles wurde in der damaligen Öffentlichkeit breit diskutiert und kommentiert. Weitgehend ausgeblendet wurde in der Debatte, dass es auch in anderen Ländern Banken-Pleiten gab.

28 O-TON (Klüh)

Wir in Deutschland denken immer, es war die Herstatt-Krise, aber in Wirklichkeit war es die erste globale Bankenkrise. Es war so, dass überall spekuliert wurde auf einmal und überall die Aufsicht darauf nicht vorbereitet waren und überall nicht genug Regulierung war, und eben dieser Switch von der einen Art des Kapitalismus zur neuen Art des Kapitalismus mit einer Krise einherging.

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Aber so dramatisch die Herstatt-Pleite damals auch war – aus heutiger Sicht bot sie nur einen Vorgeschmack auf das, was danach kam.

29 O-TON (Klüh)

Ich würde sagen, das sind Vorboten dessen, was dann später in viel größerem Umfang passiert ist. Die ist sozusagen der Beginn einer Entwicklung, wo dann immer mehr dereguliert wird, immer mehr Abkehr vom Boring Banking passiert, immer mehr Finanzmarktkapitalismus gemacht wird. Und insofern ist es so ein Vorbote. Danach, über mehrere Jahrzehnte, wird das weiter intensiviert und das Ganze kulminiert dann, hat seinen Höhepunkt in der Krise von 2008, die dann das Ende erstmal darstellt dieser verrückten Phase des Finanzmarktkapitalismus. Den haben wir zwar immer noch nicht ganz überwunden, aber danach wurde das System wieder stärker reguliert.

Musik: Media rumors 0‘26

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Weshalb man am Ende festhalten kann: Die Pleite der Herstatt-Bank war zwar die erste in der Geschichte der Bundesrepublik – aber noch lange nicht die letzte.


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