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„Wir wollen verhindern, dass es eine Pseudoaufarbeitung gibt“

20:23
 
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Der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko spricht im Interview mit den NachDenkSeiten über den Antrag seiner Partei zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Bundestag, die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften und den Pandemievertrag sowie über die geplanten Krankenhaus- und Apothekenreformen. Von Karsten Montag.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Karsten Montag: Die BSW-Gruppe hat Mitte September einen Antragstext für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung von Corona an alle Bundestagsabgeordneten verschickt. Sie haben bereits im April 2020 an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen. Inwieweit steckt in dem Antragstext Ihr persönliches Engagement?

Andrej Hunko: Ein großer Teil. Die Corona-Zeit hat mich tief erschüttert. Ich habe schon im März 2020 die ersten kritischen Fragen im Bundestag eingebracht und habe durch Anfragen vor allen Dingen auf die Herstellung solider Datengrundlagen gedrängt. Es hat mich erschüttert, wie wenig Unterstützung ich aus der damaligen Linksfraktion bekommen habe. Die vier Gesundheitspolitiker unserer damaligen Fraktion, die es damals gab, haben sich geweigert, mit mir zusammenzuarbeiten. Die Aggressivität, auch von vielen Teilen der Gesellschaft, aber auch von der Linken, gegen mich als Person hat mich schwer getroffen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich dann immer mehr von der Partei Die Linke verabschiedet habe. Insofern spielen die persönlichen Erfahrungen eine große Rolle. Es ist kein Zufall, dass ich in der BSW-Gruppe gefragt wurde, nachdem wir Ende Januar einen Platz im Gesundheitsausschuss zugesprochen bekommen haben, diesen zu übernehmen.

Für eine Annahme des Antrags sind ein Viertel der Stimmen, also 184, notwendig. Das BSW ist mit zehn Abgeordneten im Bundestag vertreten. Mittlerweile hat die AfD-Fraktion angekündigt, den Antrag zu unterstützen. Sie verfügt über 77 Sitze. Fehlen also noch knapp 100 Stimmen. Gibt es außer von der AfD noch aus anderen Fraktionen oder von einzelnen Abgeordneten Reaktionen auf den Antragstext?

Es gibt aus anderen Fraktionen verschiedene Abgeordnete, die den Antrag mitzeichnen. Aber es sind noch nicht genug. Selbst wenn die Linke – was sie nicht machen wird – den Antrag mittragen würde, würde es ja immer noch bei Weitem nicht reichen. Die Unionsparteien und die Parteien der Ampel waren massiv in die Corona-Politik eingebunden. Deswegen ist es natürlich für Abgeordnete aus diesen Fraktionen nicht leicht, mitzuzeichnen, selbst wenn sie es richtig finden. Der Druck auf die Abgeordneten wird sehr groß sein. Wir machen uns auch keine Illusionen, aber wir versuchen schon, das zu machen, was geht. Deswegen haben wir alle einzeln angeschrieben. Und wir führen zusätzlich noch Gespräche mit einzelnen Abgeordneten, die sich auch öffentlich kritisch äußern.

Aus der FDP?

Ich will das zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich machen, weil ich den Prozess nicht torpedieren möchte. Es gibt Einzelne, die gesagt haben, sie zeichnen mit. Aber bis jetzt ist es nicht so, dass es substanziell ist. Ich halte einen Erfolg des Antrags zum aktuellen Zeitpunkt für sehr schwierig, aber es geht uns auch darum, zu dokumentieren, dass wir es ernst meinen mit einem Untersuchungsausschuss. Das verbleibende Dreivierteljahr der jetzigen Legislaturperiode reicht auch bei Weitem nicht für eine Aufarbeitung aus. Wir wollen verhindern, dass es eine Pseudoaufarbeitung gibt. Manche wollen einen Bürgerrat oder eine Enquete-Kommission für ein halbes Jahr, ohne die scharfen Instrumente, die ein Untersuchungsausschuss bietet. Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen eine ernsthafte, tiefgreifende, seriöse Aufarbeitung, und die kann in dieser Legislaturperiode nicht abgeschlossen werden.

Als der Bundestag im April 2023 über einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses abgestimmt hat, waren nur 71 Parlamentarier dafür. Können die Erkenntnisse aus der Veröffentlichung der RKI-Protokolle die Zustimmung jetzt erhöhen?

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück von Anfang September und die enthüllten RKI-Protokolle halte ich für Gamechanger. Aufgrund der Befragung des damaligen Vizepräsidenten und derzeitigen Vorsitzenden des RKI Lars Schaade und der Erkenntnisse aus den RKI-Protokollen hat das Gericht gesagt, es hätte nicht nur Zweifel, sondern ist davon überzeugt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht verfassungswidrig war, und hat den Fall an das Bundesverfassungsgericht übergeben. Jeder sagt jetzt, dass er eine Aufarbeitung will, selbst Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Das zeigt, dass die Stimmung dafür da ist und dass der Zeitpunkt auch jetzt richtig ist.

Was genau ist der Unterschied zwischen einer Enquete-Kommission und einem Untersuchungsausschuss?

Wenn ich es jetzt polemisch formulieren würde, ist eine Enquete-Kommission ein Laberverein, ein Untersuchungsausschuss ist hingegen wie ein Gericht. Eine Enquete-Kommission hat zwar auch ihre Berechtigung. Dort sitzen Abgeordnete plus Wissenschaftler, Experten, die man dazuholen kann, und erstellen einen Bericht. Es können Zeugen und Akteure eingeladen werden, aber die Enquete-Kommission hat nicht die harten Rechte wie ein Untersuchungsausschuss. Es gibt keine Pflicht, dort auszusagen. Im Untersuchungsausschuss ist das anders. Dort muss man die Wahrheit sagen, sonst stellt das einen Meineid dar. Ein Untersuchungsausschuss hat auch das Recht, Dokumente anzufordern und einzusehen, was eine Enquete-Kommission nicht hat.

Der damalige Antrag der AfD deckt sich inhaltlich in vielen Teilen mit dem aktuellen Antragstext des BSW. Damals haben bis auf drei, die ihre Stimme nicht abgegeben haben, alle derzeitigen BSW-Abgeordneten in der namentlichen Abstimmung gegen den AfD-Antrag gestimmt. Was war der Grund dafür?

Der Grund war damals die Fraktionsdisziplin. Im April 2023 war der Bruch mit der Linken noch nicht klar. Als Abgeordneter überlegt man es sich dreimal aufgrund der zu erwartenden Konflikte innerhalb der Fraktion, ob man abweicht oder nicht – insbesondere, wenn der Antrag keine Chance hat, angenommen zu werden. Inhaltlich ist das falsch. An dem Antrag der AfD war, rein sachlich gesehen, nicht viel auszusetzen. Das war ein Grund, warum wir uns als BSW konstituiert haben.

Im Juni hat die Weltgesundheitsversammlung die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) angenommen. Künftig soll schon der bloße Verdacht auf die Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit oder eine Überlastung des Gesundheitssystems ausreichen, um einen pandemischen Notfall auszurufen, schreibt etwa die Vereinigung der Ärzte für individuelle Impfentscheidung. Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte merkt an, dass die Änderungen in der Zukunft für mehr Panik und freiheitseinschränkende Maßnahmen durch Informationskontrolle sorgen werden. Wie ist die Haltung des BSW zu den Änderungen der IGV?

Wir lehnen die Änderungen der IGV gänzlich ab. Ich selbst war für den Europarat bei der Weltgesundheitsversammlung in Genf. Ich war erschüttert über das in den Debatten vorherrschende Narrativ, dass die nächste Pandemie quasi vor der Tür steht und dass man noch schneller und härter reagieren muss als bei Corona. Eine kritische Aufarbeitung der Corona-Zeit war in keinem Beitrag zu spüren. Ganz am Ende der Versammlung wurden die Änderungen in einem sehr fragwürdigen Verfahren beschlossen. Und in der Tat ist es so, dass sie zu einer weiteren Zentralisierung der Entscheidungsbefugnisse der WHO und zu einer stärkeren Informationskontrolle führen. Sie gehen in die gleiche Richtung, wie auch der Pandemievertrag gehen soll. Der ist ja nicht verabschiedet worden, und die Entscheidung wurde erst einmal vertagt. Der Pandemievertrag wäre ein neuer völkerrechtlicher Vertrag und muss mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen werden sowie von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Im Unterschied dazu können die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften am Parlament vorbeigehen. Es muss keinen Parlamentsbeschluss geben.

Die Widerspruchsfrist beträgt zehn Monate, danach gelten die Änderungen automatisch.

Genau, bis zum nächsten April kann die Bundesregierung dem widersprechen. Dazu werden wir auch einen Antrag einbringen, dass sie das tut.

In der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages wird ein solcher Antrag des BSW höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben.

Das ist richtig, aber natürlich muss man den Versuch machen, um das Thema überhaupt zu setzen. Wer weiß denn, worum es bei den IGV geht? Es gibt in Deutschland nur ein begrenztes Spektrum, das sich sehr intensiv damit auseinandersetzt. Ich schätze, 99 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, worum es dabei geht.

Ist mit dem fragwürdigen Beschlussverfahren gemeint, dass die Änderungen der IGV nicht fristgemäß vier Monate vor der Weltgesundheitsversammlung veröffentlicht wurden?

Auch, konkret meine ich aber das Abstimmungsverhalten. Die Änderungen wurden praktisch in einer Nachtsitzung von Freitag auf Samstag mehr oder weniger vom Präsidium festgestellt. Es gab keine formale Diskussion und Abstimmung. Auf jeden Fall ist es sehr beunruhigend, wie da vorgegangen wird.

Die Entscheidung über den Pandemievertrag wurde, wie bereits erwähnt, von der Weltgesundheitsversammlung vertagt. Laut Ärzteblatt waren Differenzen hinsichtlich des Umgangs mit dem Patentschutz für Impfstoffe und Arzneimittel dafür verantwortlich. Kritiker des Vorhabens haben jedoch noch ganz andere Einwände. Die Verwaltungsjuristin und ehemalige Beraterin der WHO Silvia Behrendt befürchtet, dass die Weltgesundheitsorganisation damit einen sich selbst erhaltenden Kreislauf von ewigen Gesundheitsnotständen und Pandemien ausrufen kann. Sie bemängelt zudem, dass im Vertragstext der Hinweis auf das Menschenrecht fehlt, eine Impfung auch ablehnen zu können. Welche Position vertritt das BSW zum Pandemievertrag?

Wir lehnen den Pandemievertrag auch ganz klar ab. Ich teile zudem die Einschätzung von Frau Behrendt. Ich war persönlich bei der Sitzung des Forums „Pandemic prevention, preparedness and response“ im Rahmen der Weltgesundheitsversammlung zugegen. Dort saßen die Vertreter der Regierungen der Mitgliedsländer sowie die sogenannten „Stakeholder“, also die Geldgeber der WHO, zusammen. Das Schlusswort der dreistündigen Veranstaltung hat ein Vertreter der öffentlich-privaten Partnerschaft „Gavi, die Impfallianz“ gehalten. Das war schon sehr befremdlich.


Aufnahme der Sitzung des Forums „Pandemic prevention, preparedness and response“ auf der Weltgesundheitsversammlung, Bild: Andrej Hunko

Der Eindruck ist richtig, dass die Widersprüche gegen den Vertrag im Zusammenhang mit dem Patentschutz und den Forderungen des globalen Südens standen, mehr Zugang zu Impfstoffen oder sonstigen Gesundheits- und Medizinprodukten zu erhalten. Das ist ja etwas, das ich durchaus teile. Aber es darf nicht davon ablenken, dass es hier auch um andere Punkte geht, die viele Menschen an dem geplanten Pandemievertrag kritisieren. Und die spielten keine Rolle. Leider waren auch Staaten wie die Slowakei, von denen man weiß, dass sie sehr kritisch sind, nicht präsent. Übrigens waren die aktivsten Staaten, die auf Teufel komm raus versucht haben, die Änderungen der IGV durchzusetzen und den Pandemievertrag noch irgendwie zu retten, Deutschland, die USA und Neuseeland. Karl Lauterbach war selbst vor Ort. Ich war der einzige teilnehmende Abgeordnete, der nicht einer Regierung angehörte. Es gibt in der WHO keine Kultur einer Teilnahme von Abgeordneten, Journalisten oder kritischen NGOs. Es ist eine reine Veranstaltung von Regierungen und Stakeholdern.

Weil sie keinen Zugang oder weil sie kein Interesse haben?

Keinen Zugang. Der Gesundheitsausschuss des Europarats hat mich gewählt, als Beobachter zur Weltgesundheitsversammlung zu fahren. Die WHO hat mich jedoch zunächst abgewiesen und mir gesagt, eine Teilnahme von Abgeordneten sei nicht vorgesehen, und hat mich an meine nationale Regierung verwiesen. Ich habe mich dann beim Bundesgesundheitsministerium gemeldet. Dort hat man mir gesagt, wir sind Regierung, du bist Parlament, wir sind nicht für dich zuständig. Erst nach erneuter Intervention des Europarates bei der WHO habe ich ein oder zwei Tage vor der Veranstaltung eine Zusage bekommen, dass ich teilnehmen kann. Ich hatte auch nicht überall Zutritt. Es gab geheime Treffen, doch an den Hauptdebatten konnte ich teilnehmen. Das halte ich für sehr befremdlich. Die WHO hat keine parlamentarische Kontrolle, keine parlamentarische Begleitung in dem Sinne, dass auch Abgeordnete, Parlamentarier oder kritische Journalisten den Prozess beobachten können. Klar kann man sich vielleicht im Internet einiges anschauen, aber nicht vor Ort.

Und wie kommt Gavi da rein? Weil sie Geldgeber sind?

Es gab auch noch andere vergleichbare Zusammenschlüsse, die teilgenommen haben. Die WHO ist gekapert, das ist ganz offensichtlich. Der besagte letzte Beitrag im Forum „Pandemic prevention, preparedness and response“ von Gavi zielte darauf ab, dass man sich schon vor der nächsten Pandemie prophylaktisch impfen müsste.

Kommen wir zu den geplanten Vorhaben des Gesundheitsministeriums. Das Bundeskabinett hat im Mai einem Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Lauterbach zu einer Krankenhausreform, welche die Schließung von finanziell in Notlage geratenen Krankenhäusern verhindern soll, zugestimmt. Statt Fallpauschalen sollen „notwendige“ Kliniken zukünftig Vorhaltepauschalen erhalten, die ihr Überleben sichern sollen. Als Vertreter des BSW im Gesundheitsausschuss sind Sie persönlich am parlamentarischen Abstimmungsprozess beteiligt. Was ist die Position des BSW, und was sind die Positionen der anderen Parteien?

Wir lehnen diese Krankenhausreform ab. Es ist nicht richtig, dass sie den skandalösen Prozess des ökonomischen Sterbenlassens von Kliniken in Deutschland verhindert. Im Kern geht es bei der Krankenhausreform um eine Zentralisierung der Krankenhausstruktur in Deutschland und eine Inkaufnahme des Schließens weiterer Krankenhäuser, vor allem im ländlichen Raum. Das Fallpauschalensystem wird auch nicht in dem Maße weiterentwickelt, dass die negativen Aspekte wegfallen. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, dass wir die Krankenhausreform ablehnen und dass es ein Sofortprogramm geben muss, um das Kliniksterben zu beenden.

Und was sind die Positionen der anderen Parteien?

Es gibt Signale aus den Bundesländern, dass sie die Krankenhausreform ablehnen. Jetzt versucht Gesundheitsminister Lauterbach, den Bundesrat zu umgehen. Ich gehe davon aus, dass die Unionsfraktion die Reform ablehnt, SPD und Grüne wollen im Gesundheitsausschuss nur doch Details klären. Ich halte es für offen, ob sie am Ende so durchkommt. Das Problem ist nur, dass, wenn sie aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Interessen scheitert, die aktuelle Situation bestehen bleibt. 80 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland schreiben derzeit rote Zahlen. Ich halte es für falsch, dass Krankenhäuser wie betriebswirtschaftliche Unternehmen agieren müssen. Das führt eben zu dieser „kalten Marktbereinigung“. Ich finde, so etwas hat im Gesundheitssystem nichts zu suchen.

Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums einer Apothekenreform sieht im Kern vor, dass bei der Ausgabe von Medikamenten zukünftig kein Apotheker mehr anwesend sein muss und notfalls nur per Video zugeschaltet wird. Der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen lehnt die Kernpunkte des Reformvorhabens jedoch strikt ab. Kritik kommt diesbezüglich auch aus den eigenen Reihen vom SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut, der auch Mitglied im Gesundheitsausschuss ist. Wie ist die Haltung des BSW zur geplanten Apothekenreform?

Ich sehe in diesem Reformvorhaben eine Dequalifizierung des Apothekenwesens. Das ist ja letztendlich ein Heilberuf und nicht einfach irgendein Kiosk. Für die Menschen ist die Apotheke oftmals der erste Eintritt ins Gesundheitssystem, wenn sie nicht gerade einen schweren Notfall haben. Da sollten ausgebildete Pharmazeuten tätig sein. Durch die Regelung, dass sie vielleicht nur noch per Video zugeschaltet werden, wird aus meiner Sicht die Struktur geöffnet für Medikamentenabgabeketten.

DocMorris zum Beispiel.

Ja, die sitzen direkt hinter der Grenze in den Niederlanden und beliefern Privatkunden im deutschen Markt. In den Niederlanden dürfen sie das gar nicht. Ich halte diese Struktur des Apothekenwesens, die wir hier haben, mit vielen kleinen, oftmals familiär geführten Apotheken, mit Pharmazeuten, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen, für erhaltenswert. Dass man, wie in den USA oder in Großbritannien, am Rande von Drogerieketten ohne ausgebildete Pharmazeuten Medikamente kaufen kann, ist nicht wünschenswert. Es ist zudem erstaunlich, wie niedrig die Honorare der Apotheker im Vergleich zu den Gewinnen der Pharmaindustrie sind. Die sind seit 20 Jahren nicht mehr angepasst worden. Ausgebildete Pharmazeuten verdienen in der Pharmaindustrie das Doppelte oder Dreifache. Die Petitionen gegen die Apothekenreform haben übrigens deutlich mehr Unterzeichner als diejenigen gegen die Krankenhausreform.

Zum Schluss noch eine Frage zu den Ergebnissen der Landtagswahlen. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen und in Brandenburg ist nach den jüngsten Landtagswahlen eine Regierungsbildung, die sich auf eine Mehrheit im jeweiligen Parlament stützt, nur mit einer Beteiligung des BSW möglich. SPD und CDU haben im Vorfeld der Wahlen Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen. Das ist zunächst einmal eine gute Verhandlungsposition, um eigene Bedingungen durchzusetzen. Haben Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet?

Ich habe ungefähr mit den Wahlergebnissen vom BSW gerechnet. Dass die Konstellation jetzt aber so ist, wie sie sich darstellt, damit habe ich nicht gerechnet. Natürlich ist das eine gute Verhandlungsposition, und ich halte es auch für richtig, Bedingungen zu stellen. Selbstverständlich kann man hier nicht eins zu eins alles durchsetzen, das ist völlig klar. Aber auch der Bundesrat hat einen Auswärtigen Ausschuss, und die Stimmen von drei Landesregierungen spielen dort eine Rolle. Deswegen halte ich es für richtig, dass Landesregierungen mit BSW-Beteiligung sich gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen aussprechen, sich im Ukraine-Krieg für Diplomatie einsetzen und nicht zuletzt auch die Aufarbeitung von Corona vorantreiben. Und selbstverständlich müssen solche Regierungen ein Programm haben, das die Lebensverhältnisse der Menschen in den Bundesländern spürbar verbessert – vor allen Dingen im Bildungs- und im Schulbereich.

Letztendlich können die Landetage aber nur über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur Corona-Aufarbeitung entscheiden …

Dafür braucht es gar nicht das BSW. In allen drei Landtagen kann die AfD aufgrund ihres Stimmenanteils diese selbst erwirken. Trotzdem hat es eine Signalwirkung, wenn in einem Koalitionsvertrag ein derartiges Vorhaben festgelegt wird.

Für wie realistisch halten Sie es denn, dass sich die CDU und die SPD auf Landesebene hinsichtlich der außenpolitischen Themen gegen die grundsätzliche Haltung ihrer jeweiligen Parteispitzen stellen?

Das entspricht ja ihrer eigenen Haltung. Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer hat eine Volksbefragung zur Wehrpflicht und Stationierung von US-Waffen gefordert. Das entspricht in diesen drei Bundesländern der Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung, der sich auch ein Ministerpräsident nicht ganz verschließen kann. Daher ist das nicht völlig unrealistisch.

Titelbild: Jan Kühn/Wikipedia, Lizenz: CC by-sa 4.0

Zum Interviewpartner: Andrej Hunko ist seit 2009 Bundestagsabgeordneter, zunächst für die Linke und ab 2024 für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er war stellvertretender Fraktionsvorsitzender und europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag sowie im Vorstand der Partei. Das BSW vertritt er im Auswärtigen Ausschuss und im Gesundheitsausschuss. Seit 2010 ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, seit 2023 ist er Vorsitzender der Fraktion Vereinte Europäische Linke. In dieser Funktion hat er sich intensiv für die Freilassung von Julian Assange eingesetzt.

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Der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko spricht im Interview mit den NachDenkSeiten über den Antrag seiner Partei zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Bundestag, die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften und den Pandemievertrag sowie über die geplanten Krankenhaus- und Apothekenreformen. Von Karsten Montag.

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Karsten Montag: Die BSW-Gruppe hat Mitte September einen Antragstext für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung von Corona an alle Bundestagsabgeordneten verschickt. Sie haben bereits im April 2020 an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen. Inwieweit steckt in dem Antragstext Ihr persönliches Engagement?

Andrej Hunko: Ein großer Teil. Die Corona-Zeit hat mich tief erschüttert. Ich habe schon im März 2020 die ersten kritischen Fragen im Bundestag eingebracht und habe durch Anfragen vor allen Dingen auf die Herstellung solider Datengrundlagen gedrängt. Es hat mich erschüttert, wie wenig Unterstützung ich aus der damaligen Linksfraktion bekommen habe. Die vier Gesundheitspolitiker unserer damaligen Fraktion, die es damals gab, haben sich geweigert, mit mir zusammenzuarbeiten. Die Aggressivität, auch von vielen Teilen der Gesellschaft, aber auch von der Linken, gegen mich als Person hat mich schwer getroffen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich dann immer mehr von der Partei Die Linke verabschiedet habe. Insofern spielen die persönlichen Erfahrungen eine große Rolle. Es ist kein Zufall, dass ich in der BSW-Gruppe gefragt wurde, nachdem wir Ende Januar einen Platz im Gesundheitsausschuss zugesprochen bekommen haben, diesen zu übernehmen.

Für eine Annahme des Antrags sind ein Viertel der Stimmen, also 184, notwendig. Das BSW ist mit zehn Abgeordneten im Bundestag vertreten. Mittlerweile hat die AfD-Fraktion angekündigt, den Antrag zu unterstützen. Sie verfügt über 77 Sitze. Fehlen also noch knapp 100 Stimmen. Gibt es außer von der AfD noch aus anderen Fraktionen oder von einzelnen Abgeordneten Reaktionen auf den Antragstext?

Es gibt aus anderen Fraktionen verschiedene Abgeordnete, die den Antrag mitzeichnen. Aber es sind noch nicht genug. Selbst wenn die Linke – was sie nicht machen wird – den Antrag mittragen würde, würde es ja immer noch bei Weitem nicht reichen. Die Unionsparteien und die Parteien der Ampel waren massiv in die Corona-Politik eingebunden. Deswegen ist es natürlich für Abgeordnete aus diesen Fraktionen nicht leicht, mitzuzeichnen, selbst wenn sie es richtig finden. Der Druck auf die Abgeordneten wird sehr groß sein. Wir machen uns auch keine Illusionen, aber wir versuchen schon, das zu machen, was geht. Deswegen haben wir alle einzeln angeschrieben. Und wir führen zusätzlich noch Gespräche mit einzelnen Abgeordneten, die sich auch öffentlich kritisch äußern.

Aus der FDP?

Ich will das zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich machen, weil ich den Prozess nicht torpedieren möchte. Es gibt Einzelne, die gesagt haben, sie zeichnen mit. Aber bis jetzt ist es nicht so, dass es substanziell ist. Ich halte einen Erfolg des Antrags zum aktuellen Zeitpunkt für sehr schwierig, aber es geht uns auch darum, zu dokumentieren, dass wir es ernst meinen mit einem Untersuchungsausschuss. Das verbleibende Dreivierteljahr der jetzigen Legislaturperiode reicht auch bei Weitem nicht für eine Aufarbeitung aus. Wir wollen verhindern, dass es eine Pseudoaufarbeitung gibt. Manche wollen einen Bürgerrat oder eine Enquete-Kommission für ein halbes Jahr, ohne die scharfen Instrumente, die ein Untersuchungsausschuss bietet. Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen eine ernsthafte, tiefgreifende, seriöse Aufarbeitung, und die kann in dieser Legislaturperiode nicht abgeschlossen werden.

Als der Bundestag im April 2023 über einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses abgestimmt hat, waren nur 71 Parlamentarier dafür. Können die Erkenntnisse aus der Veröffentlichung der RKI-Protokolle die Zustimmung jetzt erhöhen?

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück von Anfang September und die enthüllten RKI-Protokolle halte ich für Gamechanger. Aufgrund der Befragung des damaligen Vizepräsidenten und derzeitigen Vorsitzenden des RKI Lars Schaade und der Erkenntnisse aus den RKI-Protokollen hat das Gericht gesagt, es hätte nicht nur Zweifel, sondern ist davon überzeugt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht verfassungswidrig war, und hat den Fall an das Bundesverfassungsgericht übergeben. Jeder sagt jetzt, dass er eine Aufarbeitung will, selbst Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Das zeigt, dass die Stimmung dafür da ist und dass der Zeitpunkt auch jetzt richtig ist.

Was genau ist der Unterschied zwischen einer Enquete-Kommission und einem Untersuchungsausschuss?

Wenn ich es jetzt polemisch formulieren würde, ist eine Enquete-Kommission ein Laberverein, ein Untersuchungsausschuss ist hingegen wie ein Gericht. Eine Enquete-Kommission hat zwar auch ihre Berechtigung. Dort sitzen Abgeordnete plus Wissenschaftler, Experten, die man dazuholen kann, und erstellen einen Bericht. Es können Zeugen und Akteure eingeladen werden, aber die Enquete-Kommission hat nicht die harten Rechte wie ein Untersuchungsausschuss. Es gibt keine Pflicht, dort auszusagen. Im Untersuchungsausschuss ist das anders. Dort muss man die Wahrheit sagen, sonst stellt das einen Meineid dar. Ein Untersuchungsausschuss hat auch das Recht, Dokumente anzufordern und einzusehen, was eine Enquete-Kommission nicht hat.

Der damalige Antrag der AfD deckt sich inhaltlich in vielen Teilen mit dem aktuellen Antragstext des BSW. Damals haben bis auf drei, die ihre Stimme nicht abgegeben haben, alle derzeitigen BSW-Abgeordneten in der namentlichen Abstimmung gegen den AfD-Antrag gestimmt. Was war der Grund dafür?

Der Grund war damals die Fraktionsdisziplin. Im April 2023 war der Bruch mit der Linken noch nicht klar. Als Abgeordneter überlegt man es sich dreimal aufgrund der zu erwartenden Konflikte innerhalb der Fraktion, ob man abweicht oder nicht – insbesondere, wenn der Antrag keine Chance hat, angenommen zu werden. Inhaltlich ist das falsch. An dem Antrag der AfD war, rein sachlich gesehen, nicht viel auszusetzen. Das war ein Grund, warum wir uns als BSW konstituiert haben.

Im Juni hat die Weltgesundheitsversammlung die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) angenommen. Künftig soll schon der bloße Verdacht auf die Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit oder eine Überlastung des Gesundheitssystems ausreichen, um einen pandemischen Notfall auszurufen, schreibt etwa die Vereinigung der Ärzte für individuelle Impfentscheidung. Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte merkt an, dass die Änderungen in der Zukunft für mehr Panik und freiheitseinschränkende Maßnahmen durch Informationskontrolle sorgen werden. Wie ist die Haltung des BSW zu den Änderungen der IGV?

Wir lehnen die Änderungen der IGV gänzlich ab. Ich selbst war für den Europarat bei der Weltgesundheitsversammlung in Genf. Ich war erschüttert über das in den Debatten vorherrschende Narrativ, dass die nächste Pandemie quasi vor der Tür steht und dass man noch schneller und härter reagieren muss als bei Corona. Eine kritische Aufarbeitung der Corona-Zeit war in keinem Beitrag zu spüren. Ganz am Ende der Versammlung wurden die Änderungen in einem sehr fragwürdigen Verfahren beschlossen. Und in der Tat ist es so, dass sie zu einer weiteren Zentralisierung der Entscheidungsbefugnisse der WHO und zu einer stärkeren Informationskontrolle führen. Sie gehen in die gleiche Richtung, wie auch der Pandemievertrag gehen soll. Der ist ja nicht verabschiedet worden, und die Entscheidung wurde erst einmal vertagt. Der Pandemievertrag wäre ein neuer völkerrechtlicher Vertrag und muss mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen werden sowie von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Im Unterschied dazu können die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften am Parlament vorbeigehen. Es muss keinen Parlamentsbeschluss geben.

Die Widerspruchsfrist beträgt zehn Monate, danach gelten die Änderungen automatisch.

Genau, bis zum nächsten April kann die Bundesregierung dem widersprechen. Dazu werden wir auch einen Antrag einbringen, dass sie das tut.

In der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages wird ein solcher Antrag des BSW höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben.

Das ist richtig, aber natürlich muss man den Versuch machen, um das Thema überhaupt zu setzen. Wer weiß denn, worum es bei den IGV geht? Es gibt in Deutschland nur ein begrenztes Spektrum, das sich sehr intensiv damit auseinandersetzt. Ich schätze, 99 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, worum es dabei geht.

Ist mit dem fragwürdigen Beschlussverfahren gemeint, dass die Änderungen der IGV nicht fristgemäß vier Monate vor der Weltgesundheitsversammlung veröffentlicht wurden?

Auch, konkret meine ich aber das Abstimmungsverhalten. Die Änderungen wurden praktisch in einer Nachtsitzung von Freitag auf Samstag mehr oder weniger vom Präsidium festgestellt. Es gab keine formale Diskussion und Abstimmung. Auf jeden Fall ist es sehr beunruhigend, wie da vorgegangen wird.

Die Entscheidung über den Pandemievertrag wurde, wie bereits erwähnt, von der Weltgesundheitsversammlung vertagt. Laut Ärzteblatt waren Differenzen hinsichtlich des Umgangs mit dem Patentschutz für Impfstoffe und Arzneimittel dafür verantwortlich. Kritiker des Vorhabens haben jedoch noch ganz andere Einwände. Die Verwaltungsjuristin und ehemalige Beraterin der WHO Silvia Behrendt befürchtet, dass die Weltgesundheitsorganisation damit einen sich selbst erhaltenden Kreislauf von ewigen Gesundheitsnotständen und Pandemien ausrufen kann. Sie bemängelt zudem, dass im Vertragstext der Hinweis auf das Menschenrecht fehlt, eine Impfung auch ablehnen zu können. Welche Position vertritt das BSW zum Pandemievertrag?

Wir lehnen den Pandemievertrag auch ganz klar ab. Ich teile zudem die Einschätzung von Frau Behrendt. Ich war persönlich bei der Sitzung des Forums „Pandemic prevention, preparedness and response“ im Rahmen der Weltgesundheitsversammlung zugegen. Dort saßen die Vertreter der Regierungen der Mitgliedsländer sowie die sogenannten „Stakeholder“, also die Geldgeber der WHO, zusammen. Das Schlusswort der dreistündigen Veranstaltung hat ein Vertreter der öffentlich-privaten Partnerschaft „Gavi, die Impfallianz“ gehalten. Das war schon sehr befremdlich.


Aufnahme der Sitzung des Forums „Pandemic prevention, preparedness and response“ auf der Weltgesundheitsversammlung, Bild: Andrej Hunko

Der Eindruck ist richtig, dass die Widersprüche gegen den Vertrag im Zusammenhang mit dem Patentschutz und den Forderungen des globalen Südens standen, mehr Zugang zu Impfstoffen oder sonstigen Gesundheits- und Medizinprodukten zu erhalten. Das ist ja etwas, das ich durchaus teile. Aber es darf nicht davon ablenken, dass es hier auch um andere Punkte geht, die viele Menschen an dem geplanten Pandemievertrag kritisieren. Und die spielten keine Rolle. Leider waren auch Staaten wie die Slowakei, von denen man weiß, dass sie sehr kritisch sind, nicht präsent. Übrigens waren die aktivsten Staaten, die auf Teufel komm raus versucht haben, die Änderungen der IGV durchzusetzen und den Pandemievertrag noch irgendwie zu retten, Deutschland, die USA und Neuseeland. Karl Lauterbach war selbst vor Ort. Ich war der einzige teilnehmende Abgeordnete, der nicht einer Regierung angehörte. Es gibt in der WHO keine Kultur einer Teilnahme von Abgeordneten, Journalisten oder kritischen NGOs. Es ist eine reine Veranstaltung von Regierungen und Stakeholdern.

Weil sie keinen Zugang oder weil sie kein Interesse haben?

Keinen Zugang. Der Gesundheitsausschuss des Europarats hat mich gewählt, als Beobachter zur Weltgesundheitsversammlung zu fahren. Die WHO hat mich jedoch zunächst abgewiesen und mir gesagt, eine Teilnahme von Abgeordneten sei nicht vorgesehen, und hat mich an meine nationale Regierung verwiesen. Ich habe mich dann beim Bundesgesundheitsministerium gemeldet. Dort hat man mir gesagt, wir sind Regierung, du bist Parlament, wir sind nicht für dich zuständig. Erst nach erneuter Intervention des Europarates bei der WHO habe ich ein oder zwei Tage vor der Veranstaltung eine Zusage bekommen, dass ich teilnehmen kann. Ich hatte auch nicht überall Zutritt. Es gab geheime Treffen, doch an den Hauptdebatten konnte ich teilnehmen. Das halte ich für sehr befremdlich. Die WHO hat keine parlamentarische Kontrolle, keine parlamentarische Begleitung in dem Sinne, dass auch Abgeordnete, Parlamentarier oder kritische Journalisten den Prozess beobachten können. Klar kann man sich vielleicht im Internet einiges anschauen, aber nicht vor Ort.

Und wie kommt Gavi da rein? Weil sie Geldgeber sind?

Es gab auch noch andere vergleichbare Zusammenschlüsse, die teilgenommen haben. Die WHO ist gekapert, das ist ganz offensichtlich. Der besagte letzte Beitrag im Forum „Pandemic prevention, preparedness and response“ von Gavi zielte darauf ab, dass man sich schon vor der nächsten Pandemie prophylaktisch impfen müsste.

Kommen wir zu den geplanten Vorhaben des Gesundheitsministeriums. Das Bundeskabinett hat im Mai einem Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Lauterbach zu einer Krankenhausreform, welche die Schließung von finanziell in Notlage geratenen Krankenhäusern verhindern soll, zugestimmt. Statt Fallpauschalen sollen „notwendige“ Kliniken zukünftig Vorhaltepauschalen erhalten, die ihr Überleben sichern sollen. Als Vertreter des BSW im Gesundheitsausschuss sind Sie persönlich am parlamentarischen Abstimmungsprozess beteiligt. Was ist die Position des BSW, und was sind die Positionen der anderen Parteien?

Wir lehnen diese Krankenhausreform ab. Es ist nicht richtig, dass sie den skandalösen Prozess des ökonomischen Sterbenlassens von Kliniken in Deutschland verhindert. Im Kern geht es bei der Krankenhausreform um eine Zentralisierung der Krankenhausstruktur in Deutschland und eine Inkaufnahme des Schließens weiterer Krankenhäuser, vor allem im ländlichen Raum. Das Fallpauschalensystem wird auch nicht in dem Maße weiterentwickelt, dass die negativen Aspekte wegfallen. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, dass wir die Krankenhausreform ablehnen und dass es ein Sofortprogramm geben muss, um das Kliniksterben zu beenden.

Und was sind die Positionen der anderen Parteien?

Es gibt Signale aus den Bundesländern, dass sie die Krankenhausreform ablehnen. Jetzt versucht Gesundheitsminister Lauterbach, den Bundesrat zu umgehen. Ich gehe davon aus, dass die Unionsfraktion die Reform ablehnt, SPD und Grüne wollen im Gesundheitsausschuss nur doch Details klären. Ich halte es für offen, ob sie am Ende so durchkommt. Das Problem ist nur, dass, wenn sie aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Interessen scheitert, die aktuelle Situation bestehen bleibt. 80 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland schreiben derzeit rote Zahlen. Ich halte es für falsch, dass Krankenhäuser wie betriebswirtschaftliche Unternehmen agieren müssen. Das führt eben zu dieser „kalten Marktbereinigung“. Ich finde, so etwas hat im Gesundheitssystem nichts zu suchen.

Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums einer Apothekenreform sieht im Kern vor, dass bei der Ausgabe von Medikamenten zukünftig kein Apotheker mehr anwesend sein muss und notfalls nur per Video zugeschaltet wird. Der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen lehnt die Kernpunkte des Reformvorhabens jedoch strikt ab. Kritik kommt diesbezüglich auch aus den eigenen Reihen vom SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut, der auch Mitglied im Gesundheitsausschuss ist. Wie ist die Haltung des BSW zur geplanten Apothekenreform?

Ich sehe in diesem Reformvorhaben eine Dequalifizierung des Apothekenwesens. Das ist ja letztendlich ein Heilberuf und nicht einfach irgendein Kiosk. Für die Menschen ist die Apotheke oftmals der erste Eintritt ins Gesundheitssystem, wenn sie nicht gerade einen schweren Notfall haben. Da sollten ausgebildete Pharmazeuten tätig sein. Durch die Regelung, dass sie vielleicht nur noch per Video zugeschaltet werden, wird aus meiner Sicht die Struktur geöffnet für Medikamentenabgabeketten.

DocMorris zum Beispiel.

Ja, die sitzen direkt hinter der Grenze in den Niederlanden und beliefern Privatkunden im deutschen Markt. In den Niederlanden dürfen sie das gar nicht. Ich halte diese Struktur des Apothekenwesens, die wir hier haben, mit vielen kleinen, oftmals familiär geführten Apotheken, mit Pharmazeuten, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen, für erhaltenswert. Dass man, wie in den USA oder in Großbritannien, am Rande von Drogerieketten ohne ausgebildete Pharmazeuten Medikamente kaufen kann, ist nicht wünschenswert. Es ist zudem erstaunlich, wie niedrig die Honorare der Apotheker im Vergleich zu den Gewinnen der Pharmaindustrie sind. Die sind seit 20 Jahren nicht mehr angepasst worden. Ausgebildete Pharmazeuten verdienen in der Pharmaindustrie das Doppelte oder Dreifache. Die Petitionen gegen die Apothekenreform haben übrigens deutlich mehr Unterzeichner als diejenigen gegen die Krankenhausreform.

Zum Schluss noch eine Frage zu den Ergebnissen der Landtagswahlen. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen und in Brandenburg ist nach den jüngsten Landtagswahlen eine Regierungsbildung, die sich auf eine Mehrheit im jeweiligen Parlament stützt, nur mit einer Beteiligung des BSW möglich. SPD und CDU haben im Vorfeld der Wahlen Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen. Das ist zunächst einmal eine gute Verhandlungsposition, um eigene Bedingungen durchzusetzen. Haben Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet?

Ich habe ungefähr mit den Wahlergebnissen vom BSW gerechnet. Dass die Konstellation jetzt aber so ist, wie sie sich darstellt, damit habe ich nicht gerechnet. Natürlich ist das eine gute Verhandlungsposition, und ich halte es auch für richtig, Bedingungen zu stellen. Selbstverständlich kann man hier nicht eins zu eins alles durchsetzen, das ist völlig klar. Aber auch der Bundesrat hat einen Auswärtigen Ausschuss, und die Stimmen von drei Landesregierungen spielen dort eine Rolle. Deswegen halte ich es für richtig, dass Landesregierungen mit BSW-Beteiligung sich gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen aussprechen, sich im Ukraine-Krieg für Diplomatie einsetzen und nicht zuletzt auch die Aufarbeitung von Corona vorantreiben. Und selbstverständlich müssen solche Regierungen ein Programm haben, das die Lebensverhältnisse der Menschen in den Bundesländern spürbar verbessert – vor allen Dingen im Bildungs- und im Schulbereich.

Letztendlich können die Landetage aber nur über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur Corona-Aufarbeitung entscheiden …

Dafür braucht es gar nicht das BSW. In allen drei Landtagen kann die AfD aufgrund ihres Stimmenanteils diese selbst erwirken. Trotzdem hat es eine Signalwirkung, wenn in einem Koalitionsvertrag ein derartiges Vorhaben festgelegt wird.

Für wie realistisch halten Sie es denn, dass sich die CDU und die SPD auf Landesebene hinsichtlich der außenpolitischen Themen gegen die grundsätzliche Haltung ihrer jeweiligen Parteispitzen stellen?

Das entspricht ja ihrer eigenen Haltung. Sachsens CDU-Ministerpräsident Kretschmer hat eine Volksbefragung zur Wehrpflicht und Stationierung von US-Waffen gefordert. Das entspricht in diesen drei Bundesländern der Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung, der sich auch ein Ministerpräsident nicht ganz verschließen kann. Daher ist das nicht völlig unrealistisch.

Titelbild: Jan Kühn/Wikipedia, Lizenz: CC by-sa 4.0

Zum Interviewpartner: Andrej Hunko ist seit 2009 Bundestagsabgeordneter, zunächst für die Linke und ab 2024 für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er war stellvertretender Fraktionsvorsitzender und europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag sowie im Vorstand der Partei. Das BSW vertritt er im Auswärtigen Ausschuss und im Gesundheitsausschuss. Seit 2010 ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, seit 2023 ist er Vorsitzender der Fraktion Vereinte Europäische Linke. In dieser Funktion hat er sich intensiv für die Freilassung von Julian Assange eingesetzt.

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